Frauenleserin Rezension

“Frankenstein. Der moderne Prometheus” von Mary Shelley

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Bereits vor 200 Jahren erschien “Frankenstein. Der moderne Prometheus” von Mary Shelley. Ein Buch, dass vollkommen zu Recht zu den Klassikern der Literatur zählt. Bis heute ist das Monster Inspiration für zahlreiche Comicserien und Filme, aber auch beliebtes Halloweenkostüm. Dabei hat das Werk so viel mehr zu bieten als nur Gruselfaktor. Es ist eines der ersten Science Fiction-Bücher und spricht Themen an, die auch heute noch erschreckend aktuell sind.

Schon die Entstehungsgeschichte von “Frankenstein. Der moderne Prometheus” ist außergewöhnlich. Mary Shelley war nämlich gerade einmal 18 Jahre alt, als sie die Grundidee des Romans entwarf. Den Sommer 1816 verbrachte sie mit ihrem späteren Ehemann Percy Bysshe Shelley und einigen weiteren Reisebegleitern – darunter Lord Byron – am Genfer See. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Paar gesellschaftlich geächtet, denn Percy Shelley war noch verheiratet und Mary bereits mit 16 Jahren von ihm von ihm schwanger. Es war ein verregneter Sommer, den sich Reisegesellschaft damit vertrieb, sich gegenseitig Gruselgeschichten vorzulesen. Irgendwann kamen sie dann auf die Idee, jeder solle eine eigene Geschichte erfinden. Mary ersann eine Geschichte, in der ein Wissenschaftler einen Menschen wieder zum Leben erweckt. Auf Drängen von Percy Shelley baute sie die Kurzgeschichte später zum Roman aus.
Bereits Marys Mutter, Mary Wollstonecraft, war Schriftstellerin und eine der ersten Feministinnen. Sie verfasste eines der grundlegenden Werke der Frauenbewegung (“Verteidigung der Frauenrechte”). Sie starb 11 Tage nach Marys Geburt im Kindbett.

Aber zurück zum Buch:

Der Wissenschaftler Frankenstein erschafft aus Leichenteilen ein lebendes, denkendes und fühlendes Wesen. Seine missgebildete Gestalt macht es zu einem gesellschaftlichen Außenseiter. Die Vorurteile und der Schrecken, die dem Wesen überall entgegenschlagen, lassen es schließlich so weit verbittern, dass er sich verspricht, Rache an seinem Schöpfer zu üben, da ihn dieser zu diesem unglücklichen Leben in Einsamkeit zwang.

Wie fand ich…

… den Einstieg?

“Frankenstein. Der moderne Prometheus” lässt sich langsam an. Die eigentliche Geschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, die in Briefform erzählt wird. Zu Beginn hat mich das irritiert. Ich war zunächst der Annahme, der Schreiber sei Frankenstein. Rückblickend halte ich diesen Kniff aber für sehr geschickt, denn das Ende wird so um einiges dramatischer und düsterer.

… die Sprache?

Für einen 200 Jahre alten Roman liest sich “Frankenstein. Der moderne Prometheus” erstaunlich flüssig. Das mag sicher auch an der Übersetzung liegen. Karl Bruno Leder und Karl Leetz gelingt es, den Klang der damaligen Zeit zu erhalten und gleichzeitig so weit zu “modernisieren”, das es angenehm zu lesen ist.

Erstaunt haben mich vor allem die ausführlichen und fast schon poetischen Naturbeschreibungen. Diese romantischen Einschläge hatte ich bei einem Werk dieser Thematik nicht erwartet. Umso mehr beeindruckte es mich, wie es Mary Shelley gelingt, diese so in die Handlung einzubetten, dass sie nicht wie Fremdkörper wirken.

… den Handlungsverlauf?

Mary Shelley lässt sich Zeit, um ihre Geschichte zu entwickeln. Die Erschaffung des Monsters, die in so vielen Filmen den Beginn darstellt, steht erst am Ende des ersten Drittels. Man merkt schnell, dass man es hier nicht mit einem Buch zu tun hat, dass auf einen schnellen Schreckmoment aus ist. Mary Shelley hat etwas zu erzählen. Sie lässt sowohl den Wissenschaftler als auch sein Geschöpf zu Wort kommen.

Die Handlung verläuft großenteils linear und chronologisch. Es gibt mehrere Wende- und Spannungspunkte und eine sich immer weiter zuspitzende Dramatik, die Handlung vorantreibt.

Trotzdem war es kein Buch, dass ich mal eben weggelesen habe. Dafür wirft Mary Shelley zu viele Fragen auf, die mich zum Nachdenken brachten:

Wie weit darf Wissenschaft gehen? Darf der Mensch Gott spielen? Was ist moralisch vertretbar?

Dies sind die zentralen Fragen in “Frankenstein. Der moderne Prometheus”, die auch heute noch von erstaunlicher Aktualität sind und zur Faszination des Buchs betragen.

Daneben spielen aber auch gesellschaftliche Aspekte eine Rolle. Vor allem die Frage, wie wir mit Fremd- oder Andersartigem umgehen. Auch das ist eine Thematik, die heute aktueller denn je ist.

… die Charaktere?

Die Hauptcharakter sind der jungen Wissenschaftler Frankenstein und die Kreatur, die er schafft. Deren Motivation- und Gefühlslage wird anschaulich und nachvollziehbar geschildert. Ich konnte mich in beide Charaktere gut hineinversetzen. Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso mehr verschwimmen die Grenzen zwischen “gut” und “böse”. Es wird zunehmend schwieriger auszumachen, wer nun den eigentlichen Schrecken verbreitet, das wahre Monster ist. In der Mitte des Buchs hatte ich schließlich sogar Mitleid mit Frankensteins Kreatur, die so sehr unter den Vorurteilen der Gesellschaft und ihrer Andersartigkeit leidet. Gleichzeitig nehmen die Züge Frankensteins eine Art Besessenheit und Wahnsinn an, die mich etwas abstießen. Diese diametralen Entwicklungen sind nicht nur spannend zu verfolgen, sondern regen auch zum Nachdenken an.

… den Schluss?

Der Schluss ist sehr düster und macht dem Horrorgenre alle Ehre. Selbst in der Rahmenhandlung, von der ich ein gemütliches Ausklingen der Geschichte erwartet, gibt es noch Spannung- und Wendepunkte. Wie auch die modernen Meister baut Mary Shelley den Schrecken sehr langsam auf, um dann am Schluss ein dramatisches und düsteres Finale zu präsentieren, in dem noch einmal die romantischen Einschläge deutlich hervortreten. Ein bisschen erinnert es an die Zeit des Sturm und Drangs, was nicht weiter verwundert, denn Goethes “Leiden des jungen Werthers” werden bereits in der Mitte des Buchs genannt.

Bewertung: ♥ ♥ ♥ ♥ Buchtipp

 

Zum Schluss noch ein paar Worte zur Ausgabe:

Die aktuelle Büchergilde-Ausgabe ist wie gewohnt schön gestaltet. Das Buch ist in Leinen gebunden und mit einer Goldprägung und einem Schutzumschlag versehen. Der Inhalt ist durch 55 Schwarz-Weiß-Drucke illustriert, die an Holzstiche erinnern. Zudem werden zwei verschiedene Sorten Papier verwendet. Auf hellblauem Papier gedruckt hebt sich Rahmenhandlung auch optisch ab. Die Ausgabe ist exklusiv für Mitglieder der Büchergilde. Ansichten in das Buch findest du >>hier<<.

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8 Kommentare

  1. Liebe Kerstin,
    zunächst herzlichen Glückwunsch zum neuen Blog! Gefällt mir sehr gut 🙂
    Ich habe Frankenstein gelesen, als ich 18 oder 19 Jahre alt war, es ist also schon eine ganze Weile her. Die Verfilmungen reichen alle nicht an das Buch heran und fangen vor allem die Atmosphäre nicht ein. Danke für Deine sehr schöne Rezension!
    LG, Ina

  2. Hallo Kerstin
    Ein schöner Text zu einem beeindruckenden Buch. Ich habe es als sehr bedrückend wahrgenommen, war mitgerissen von der Verzweiflung und Ausgrenzung des “Monsters”. Meine Lektüre ist gut zehn Jahre her und ich habe bis heute nicht die Gefühle vergessen, die mich beim Lesen begleitet haben. Ich kann dir nur zustimmen – mal eben so weglesen geht hier nicht.

    Liebe Grüße,
    Sandra

    • Hallo Sandra.
      Was du beschreibst, hat mich beim Lesen erstaunt. Ich hatte etwas – hmmm … – „zweidimensionaleres“ erwartet, mehr Schwarz/Weiß-Denken. Das Buch hat mich absolut positiv überrascht.
      Grüße.
      Kerstin

  3. […] „Frankenstein. Der moderne Prometheus“ von Mary Shelley ist einer der ersten Science-Fiction-Romane. Die Geschichte um den Wissenschaftler, der aus Leichenteilen ein lebendes, denkendes und fühlendes Lebewesen erschafft, ist auch heute noch immer erstaunlich aktuell. […]

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