Als ich am Wochenende von der Führung durch die Ausstellung „Damenwahl – 100 Jahre Frauenwahlrecht“ twitterte, erhielt ich den Kommentar, dass die Gleichberechtigung heute bis auf das Gehalt doch erreicht sei. Ich sehe das anders und je älter ich werde, umso deutlicher wird es für mich. (Wow, wie altersweise das klingt. So alt komme ich mir eigentlich gar nicht vor.)
Da ist z. B. die Erwartungshaltung in Bezug auf Ehe und Familienplanung. Zuerst fragte man mich, wann ich heiraten wolle. Als ich mich dann doch dazu entschied, wurde ich gefragt, warum ich es nicht in weiß und mit rauschendem Fest tue. (Auch dass wir uns zunächst gegen Ringe entschieden, war für einige ein Problem.) Interessanter Weise war einige gleichzeitig enttäuscht, dass ich meinen Nachnamen ablegte. Und jetzt werde ich ständig gefragt, wann ich denn ein Kind plane.
Schön, dass ich mit meiner Meinung nicht alleine dastehe:
„Auf allen drei Schlachtfeldern, der Körperebene, der Familienplanung und der Sexualität, gilt: Macht euch klar, was ihr wollt. Und was andere gegen eure Freiheit haben könnten. Und dann reißt euch zusammen und verteidigt eure Rechte!“ heißt es in einem Artikel bei Edition F.
Mir persönlich geht das aber nicht weit genug.
Zum einen betrifft dieses Problem nicht nur für Frauen. Auch Männer, Homosexuelle und Übergewichtige, um nur einige Beispiele zu nennen, stehen (um im Sprachbild des Artikels zu bleiben) an der gleichen Front.
Zum anderen nehmen wir nicht nur die Opferrolle ein, sondern sind auch selbst Täter. Jeder von uns hat selbst bestimmte Vorstellungen, wie jemand zu sein hat. Vieles davon ist gesellschaftlich so sehr verankert, dass wir uns nicht einmal groß Gedanken darüber machen oder uns dessen überhaupt bewusst sind. Da gibt es beispielsweise dieses veraltete Bild vom starken Mann, der keine Gefühle zeigen darf, oder die Vorstellung, ein Übergewichtiger sei faul und habe keine Disziplin.
Eine Forderung, die sich an andere richtet und nur Frauen einschließt, ist also nicht genug. Gleichzeitig müssen wir auch an uns selbst arbeiten und erkennen, wann wir anderen gegenüber in gleiche Falle tappen. Wir sollten uns bemühen, unsere Mitmenschen hauptsächlich als Menschen zu sehen. Als Individuen.
Wenn uns beides gelingt, sind wir in Sachen Gleichberechtigung einen großen Schritt vorangekommen.
Grundsätzlich stimme ich dem zu, was du schreibst. Allerdings nicht deiner Aussage, dass wir die Opferrolle einnehmen: Das setzt aktives Tun voraus. Nach meiner Erfahrung ist es eher so, dass versucht wird, Frauen in die Opferrolle zu drängen. Wenn sie sich dagegen wehren, kommt das gar nicht gut an. Bis zur wirklichen Gleichberechtigung, die den Namen verdient, ist es noch ein langer Weg.
Liebe Grüße, Ina
Hallo Ina,
Du hast sicher recht, dass Frauen oft in die Opferrolle gedrängt werden. Um diesen Punkt geht es mir aber nicht. Ich habe mich daran gestört, dass in dem verlinkten Artikel nur aufgezählt wird, wo Frauen noch immer nicht gleichberechtigt sind. Das mag zwar soweit wahr sein. Gleichzeitig sollte man sich aber bewusst sein, dass auch andere Gruppen diskriminiert werden. Und dass wir auch selbst diskriminieren. Von anderen eigenen Gleichberechtigung zu fordern, ohne sich der eigenen diskriminierenden Tendenzen bewusst zu werden und sie zu überwinden (wie in dem Artikel), ist mir zu eindimensional.
Viele Grüße
Kerstin