Als Dana von Suffrin ihre Doktorarbeit fertig geschrieben hatte, hatte sie Angst in ein Loch zu fallen. Nichts mit der ganzen Zeit, die sie in den letzten Monaten und Jahren damit verbracht hatte, anfangen zu können. Daher entschied sie, einfach weiter zuschreiben und meldete sich zu einem Autorenworkshop an. So erklärt Dana von Suffrin, wie es zur Entstehung ihres Debütromans “Otto” kam.
Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse lud der Kiepenheuer & Witsch Verlag, in dem das Buch erschienen ist, zum Bloggerfrühstück mit ihr ein. Unterhaltsamer und humorvoller wurde mir ein Buch über die Deportation der Juden während des Dritten Reichs und den Abschied vom sterbenden Vater noch nicht vorgestellt. Diese ungewöhnliche Mischung entspricht Dana von Suffrins Sicht auf das Leben. “Ich finde einfach alles lustig, dann geht es einfacher.” sagt sie.
Ihren Roman “Otto” bezeichnet sie als “Anti-Familienroman”. Zwar ginge es um die Themen eines jeden klassischen Familienromans. Sie habe jedoch versucht, einen kritischen Blick auf das Konzept “Familie” zu werfen. (Biologische) Familien seien zwar nach außen harmonisch, im Grunde aber hoch dysfunktional. Trotzdem könne man sich nie ganz von ihr befreien.
So geht es auch Timna mit ihrem Vater Otto. Als patriarchales Familienoberhaupt tyrannisiert er seine beiden Töchter bis weit in deren Erwachsenenalter. Und auch als Pflegefall macht er den Schwestern durch ständige Vorwürfe und strikte Forderungen ein schlechtes Gewissen. “Bücher sind immer auch autobiografisch”, meint Dana von Suffrin.
Die Figur Otto sei ihrem Vater nachempfunden. Beide stammten aus Siebenbürgen und mussten als Juden vor den Nationalsozialisten fliehen. Deportation und die Angst, erneut fliehen zu müssen, gehören nicht nur zur Familiengeschichte. Durch die Schilderungen, Vorsichtsmaßnahmen und Ermahnungen des Vaters wurden sie Teil des familiären Gedächtnisses und deren Lebensweise. Eine Mappe mit Kopien der wichtigsten Dokumente der Familie liegt immer bereit und die Krugerrand-Münzen bilden die “eiserne Reserve”, so dass man jederzeit fluchtbereit bleibt. So zu leben ist belastend. Dennoch lässt es Otto nicht zu, dass sich Timna und ihre Schwester hiervon (und damit auch von ihm) lösen. Stattdessen plagt sie ein schlechtes Gewissen und die Angst, dem Vater nicht genug dankbar zu sein. Gefühle, die Otto beständig nährt, um seinen Willen durchzusetzen.
Daneben erinnert sich Timna aber auch an ganz gewöhnliche Familienszenen wie Skiurlaube im Campingmobil, die sie als Teenagerin aber natürlich nicht minder ätzend fand als die ständigen jüdischen Familiengeschichtsstunden des Vaters.
Und dann sind da noch diese kleinen Momente, in denen dann doch die Liebe zwischen den Familienmitgliedern greifbar wird. Etwa wenn Timna ihren Vater mitten in der Nacht anruft, weil sie sich Sorgen um die Zukunft macht, und er schließlich zu ihr sagt “Du kannst mich immer wecken, wenn du dich sorgst” (Seite 68). Oder wenn Timna schildert, wie ein einziges Stichwort ausreicht, um bei beiden Schwestern die gleichen Assoziationen und Erinnerung hervorzuholen.
Selbst den unschönen Szenen, in denen Otto tyrannisch, störrisch und einfach nervtötend wirkt, kommt in der Art, mit der Timna über die Ereignisse erzählt, auch ein winziges Fünkchen Zuneigung zum Ausdruck. Es ist die Art augenzwinkernden Humors, mit dem man auf die Spleens eines geliebten Menschen blickt, die natürlich nervig sein können, ohne die derjenige aber nicht mehr derselbe wäre. Die Erzählung gerät hierdurch trotz der existentiellen Themen heiter und leicht, ohne albern oder respektlos zu werden.
So gut die einzelnen Szenen auch ausgewählt und erzählt sind, wirkten sie auf mich aber leider auch etwas lose. Manche Episoden blieben vollkommen isoliert stehen. Eine Rahmenhandlung, die all diese Rückblenden zusammenhält, ist nur rudimentär vorhanden und besteht letztlich einzig aus der fortschreitenden Verschlechterung von Ottos Gesundheitszustands. Die einzelnen Familienmitglieder können hierauf nur reagieren, nicht aber aktiv eingreifen. Einerseits lässt dies keine erzählerische Entwicklung zu. Andererseits liegt aber genau hierin auch Ottos “Triumph”. Dadurch dass alle Familienmitglieder ihre Leben nach seinem Befinden ausrichten, bleibt er bis zuletzt unangefochtenes Familienoberhaupt. Eine Position, derer er sich nur allzu bewusst ist und die er bis zum Schluss nutzt, um seine Töchter zu schikanieren.
Ich habe “Otto” gerne gelesen. Auch weil ich darin immer wieder die wahnsinnig sympathische Autorin vom Bloggerfrühstück wiedergefunden habe. Das Buch bietet gute Unterhaltung bei gewichtigen Themen. Der “kritische Blick auf das Konzept Familie” ist Dana von Suffrin gelungen. Der große Wurf, der mich nachhaltig bewegt oder in anderer Weise beeindruckt, ist es aber nicht.