“Großmama packt aus” ist eine tragische deutsch-jüdische Familiengeschichte des 20. Jahrhunderts, über die man sich herrlich amüsieren kann. Inhaltlich bietet der Roman nur wenig neues; gleichzeitig ist er aber doch erfrischend originell. In ihrem sehr persönlichen Roman gelingt es Irene Dische scheinbar unvereinbare Gegensätze auf sehr unterhaltsame Weise nicht einander zu verbinden.
Über drei Frauengenerationen erzählt Irene Dische in “Großmama packt aus” die eigene Familiengeschichte. Sie schildert die Ehe ihre Großmutter mit einem deutschen Juden und die daraus entstehenden Schwierigkeiten in Nazideutschland, die Flucht der jungen Familie in die USA und die anschließenden Anstrengungen, um dort Fuß zufassen. Dem Weg der Familie folgt sie schließlich weiter über die nachfolgenden beiden Frauengenerationen bis in die heutige Zeit. So entsteht im Kleinen gleichzeitig ein Porträt des 20. Jahrhunderts.
Wie fand ich …
… den Einstieg?
Selten konnte mich ein Buch bereits mit dem allerersten Satz so sehr für sich einnehmen wie “Großmama packt aus”.
Dass meine Enkeltochter so schwierig ist, hängt vor allem mit Carls geringer Spermadichte zusammen.
1. Satz aus “Großmama packt aus” von Irene Dische
Schon hier erkannt man den besonderen Charme des Romans, der sich vor allem aus dem so eigenwilligen Blickwinkel der Erzählerin, nämlich “Großmama” selbst, ergibt.
… die Erzählweise?
Irene Dische lässt ihre Großmutter zu Wort kommen. Sie ist es, die der Leserin die Geschichte ihrer Familie erzählt. Dabei schweift sie bisweilen ab, greift vor oder ergeht sich in Klagen über ihre missratenen Nachkommen, bis sie sich irgendwann selbst zur Ordnung ruft und die Hauptgeschichte wieder aufgreift.
Der so entstehende Eindruck, tatsächlich Großmama Disches Erzählung zuhören, wird durch deren eigensinnigen Interpretationen zusätzlich verstärkt. Daraus resultieren nicht selten seltsam anmutende Zusammenhänge, wie der im ersten Satz des Romans. Oft erscheinen ihr Weltbild und ihre Darstellung eigentümlich und verquer. Dennoch erkannt die Leserin immer den wahren Kern der Geschichte. Dadurch kann man sich oft selbst in dramatischen Situationen und tragischen Szenen ein Schmunzeln nicht vergreifen, was dem Roman einiges von der Schwere nimmt, die eine deutsch-jüdische Familiengeschichte zwangsläufig mit sich bringt.
… die Charaktere?
Neben der erzählenden Großmutter ist mir vor allem Haushaltshilfe Liesel im Gedächtnis geblieben. Praktisch veranlagt, entschlossen zupackend und einem klaren und nüchtern Blick ist sie das genaue Gegenteil der Großmutter. Dank ihrer guten Urteilskraft geht ihre Hilfe nicht selten über den Haushalt hinaus. Ohne sich in Vordergrund zu spielen, wird sie so im Laufe der Jahre zu einer echte Stütze für die Familie.
Erweitert wird der Frauenkreis durch Tochter und Enkeltochter. Mit ihnen treten schließlich auch die typischen Generationenkonflikte hinzu. Da wäre beispielsweise die Geschichte mit dem Familienschmuck. Indem sie diesen – eingenäht in die eigene Kleidung – auf ihrer Flucht aus Nazideutschland schmuggelt, nimmt die Großmutter eine besondere Gefahr in Kauf. Und auch in den USA nimmt die Familie lieber Spenden in Anspruch als den Familienschmuck zu verkaufen. (Als die Spendenorganisation davon erfährt, ist der Ärger groß.) Enkelin Irene hingegen hat keine Skrupel dabei, den Schmuck nach und nach zu verpfänden und zu verkaufen. Die besondere Bedeutung, die dieser Schmuck für ihr Großmutter hat, kann sie ebenso wenig nachvollziehen, wie es die Großmutter wiederum überwinden kann, dass ihre Enkelin so sorglos mit dem Erbe umgeht. Immer wieder kommt diese hierauf zurück.
… den Handlungsverlauf?
Vor allem die Lebensgeschichte der Großmutter, ihre Erfahrungen als Ehefrau eine Juden in Nazideutschland, die Flucht und der anschließende Aufbau des neuen Lebens in den USA fand ich sehr spannend. Diesen Teil habe ich gerne verfolgt. Hier ist das bereits beschriebene Spannungsfeld zwischen einer dramatischen Handlung und dem so eigenwilligen Erzählstil am reizvollsten.
Leider wird die Geschichte später aber umso haarsträubender und erscheint umso mehr aus der Luft gegriffen, je näher sie sich auf die heutige Zeit zubewegte. Hier wurde teilweise schon reichlich ausgeschmückt und kräftig überzeichnet, um den Unterhaltungswert zu erhöhen. Mein Geschmack war dieser zunehmend fehlenden Realitätsbezug nicht. Nach dem so wirklichkeitstreuen ersten Teil enttäuschte mich diese Entwicklung.
… den Schluss?
Der Schluss stimmt mich doch wieder etwas versöhnlicher. Der Kniff, dass die Großmutter auch Ereignisse, die nach ihrem Tod liegen, schildert, amüsierte mich. Und dass sie schließlich zugibt, sich einige erzählerische Freiheiten gestattet zu haben, milderte meine Enttäuschung über die zunehmend unrealistische Handlung etwas. Alles in allem war mir der Schluss aber doch etwas zu schwach.
Fazit
“Großmama packt aus” von Irene Dische bietet beste Unterhaltung. Der Kontrast zwischen der teils sehr dramatischen Geschichte und der eigenwilligen Erzählweise ist sehr spannend. Auch die Protagonistinnen sind sehr sympathisch. Leider wird die Geschichte im weiteren Verlauf zunehmend unrealistisch und absurd, was mich ab einem gewissen Punkt ziemlich nervte. Auch der Schluss war alles in allem eher schwach.