Frauenleserin Rezension

“In gewissen Kreisen” von Elizabeth Harrower

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Es gibt eine Menge Bücher, die gut unterhalten, fesselnd geschrieben und spannend zu lesen sind. Diese klappt man anschließend zu, denkt sich „Wow! Das war toll!“, stellt es zurück ins Regal und greift zum nächsten.

Und dann gibt es Bücher, die einen regelrecht fordern, zeitweise unbequem werden und eigene Positionen sowie Konzepte neu überdenken lassen. Diese Bücher müssen „verdaut“ werden und machen es nahezu unmöglich, danach sofort zum nächsten zu greifen; manchmal verändert sich im Laufe dieses „Reifungsprozesses“ sogar unser Urteil über ein Buch noch einmal zur Gänze.

„In gewissen Kreisen“ von Elizabeth Harrower ist so ein Buch. Erst mit ungefähr 2 Wochen Abstand, bin ich in der Lage, darüber eine Rezension zu verfassen.

Worum geht es?

Russel und Zoe Howard fehlt es an nichts. Sie wachsen behütet in einem wohlhabenden, intellektuell offenen Elternhaus auf, wo man ihnen beibringt, dass ihnen die ganze Welt offen steht. Mit den Waisen Stephen und Anna treffen sie zum ersten Mal auf ein gleichaltriges Geschwisterpaar, das weitaus weniger Glück im Leben hatte. Im Schatten der psychisch kranken Stiefmutter aufgewachsen schlagen sich die beiden mit schlecht bezahlten, wenig aussichtsreichen Jobs durch. Doch die Faszination des Unbekannten ist so groß, dass die beiden ungleichen Geschwisterpaar schon bald ein komplexes Band aus Freundschaft, Liebes- und Geschäftsbeziehungen verbindet.

Wie gefiel mir das Buch?

Mit „In gewissen Kreisen“ gelingt Elizabeth Harrower ein psychologisch genauer, fast schon verstörend unsentimentaler Beziehungsroman über die scheinbare Unvereinbarkeit weiblicher und männlicher Lebensträume. Mit kühler, nüchterner Sprache seziert Elizabeth Harrower die komplexen emotionalen und beruflichen Verstrickungen der beiden Geschwisterpaare über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren. Dabei beweist sie eine erstaunlich feine Beobachtungsgabe für die Dinge, die zwischen Paaren meist unausgesprochen bleiben und dennoch nicht selten eine ganz eigene Dynamik entwickeln.

„In gewissen Kreisen“ zeigt all die persönlichen kleinen und größeren Opfer, die für eine Beziehung erbracht werden, und wirft gleichzeitig die Frage auf, bis zu welchem Grad man eigene Lebensentwürfe für eine gemeinsame Zukunft aufgeben kann, ohne sich dabei selbst zu verlieren.
Besonders mit Zoe habe ich stark mitgelitten. Für ihre Jugendliebe gibt sie kurzentschlossen ihr erfolgreiches Leben in Paris auf und ordnet sich und ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse fortan fast gänzlich denen ihres emotional instabilen Ehemanns unter. Wie sehr sie in ihrer Ehe leidet und zunehmend verkümmert und wie wenig ihr Mann dies zu bemerken scheint, tat mir nicht nur weh; es machte mich phasenweise sogar etwas wütend auf ihren Mann sowie Zoe selbst gleichermaßen.

Vor allem die tiefe Einfühlsamkeit, die Elizabeth Harrower bei der Beschreibung ihrer Figuren beweist, beeindruckte mich an diesem nur knapp 280 Seiten starken Roman. Die fünf zentralen Charaktere sind erstaunlich komplex angelegt und wirken dadurch absolut authentisch. Anhand von Szenen über die kleineren und größeren Tragödien aus ihren Leben bekommt die Leserin bzw. der Leser einen sehr genauen, fokussierten Einblick in die Gefühlswelt der Protagonistinnen und Protagonisten.

Etwas schwieriger war es, diesem verschachtelten Roman auch chronologisch zu folgen. Durch den szenischen Aufbau und die große zeitliche Spanne, die „In gewissen Kreisen“ umfasst, war mir nicht immer gleich klar, wie viel Zeit seit der letzten Szene vergangen war. Immerhin jedoch schreitet die Handlung kontinuierlich voran und man muss sich nicht auch noch mit gelegentlichen Rückblenden herumärgern.

Besondere Aufmerksamkeit erfordern auch die Dialoge. Hier erfährt man meist gleich auf mehreren Ebenen näheres über die einzelnen Figuren, Hintergründe und wichtige Zusammenhänge. Bei dieser Komplexität muss man schon sehr genau lesen, um keine Informationen zu übersehen. Auch inhaltlich haben es die Dialoge in sich. Einige Themen, die darin angesprochen wurden, beschäftigten mich auch noch, nachdem ich das Buch für diesen Tag längst wieder zur Seite gelegt hatte.

Insgesamt war „In gewissen Kreisen“ eine ebenso intensive wie anstrengende Leseerfahrung, die mir einen ganz neuen Blick auf die Konzepte von Liebe, Paarbeziehungen und (persönliche) Freiheit verschaffte. Diese Themen beschäftigten mich auch, nachdem ich das Buch längst beendet hatte, noch eine gewisse Weile.

Wie hoch ist der „starke Frauen“-Faktor?

Eine eigentlich vielversprechende Fotografin verzichtet zu Gunsten ihrer Liebe auf die Karriere und verkümmert fortan zunehmend an der Seite ihres emotional instabilen Ehemanns. Eine Vollblutmutter und –ehefrau verliert durch den Auszug ihrer Kinder vollständig den Boden unter den Füssen. Und eine heimlich, unglücklich verliebte Frau gelangt als Künstlerin zu einigem Erfolg.
Die weiblichen Lebenswege, die Elizabeth Harrower in „In gewissen Kreisen“ beschreibt, sind nicht gerade optimistisch, besonders erfolgreich oder glücklich. Keine der drei Frauen schaffte es, privates und berufliches Glück unter einen Hut bekommen. Für alles drei scheint es nur ein „Entweder… oder…“ zu geben.

Aber – wie auch im richtigen Leben – zeigt sich die wahre Größe dieser Frauen erst im Moment ihrer größten persönlichen Niederlage. Alle drei gestehen sich und ihren Partnern ihre eigene Unzufriedenheit und ihr Unglück ein und ziehen die notwendigen Konsequenzen. So zerbricht am Ende schließlich das ganze fragile Beziehungsgeflecht, in das sich die drei Frauen und ihre Männer verstrickt haben. Aber das Ende ihrer Ehen ist nicht nur eine Niederlage sondern befreit sie gleichzeitig aus ihren festgeschriebenen Rollen. So ergibt sich schließlich die Chance, einen eigenen, selbst bestimmteren Weg zu wählen.

Elizabeth Harrower beschreibt eine der ersten Frauengenerationen, die sich nicht mehr zwischen beruflichem und privatem Glück entscheiden müssen wollen. Diesen zarten Moment der Selbsterkenntnis fängt „In gewissen Kreisen“ eindrücklich ein.

Bewertung: ♥♥♥♥ Buchtipp!

Titel: In gewissen Kreisen ♦ Autorin: Elizabeth Harrower ♦ Übersetzung: Allisa Walser ♦ Format: Hardcover ♦ Umfang: 279 Seiten ♦ ISBN: 978-3-351-03633-1 ♦ Preis: 22,95€

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