Frauenleserin Rezension

“Die Gestirne” von Eleanor Catton

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Die Gestirne_BeitragsfotoEleanor Catton wurden 1985 in Kanda geboren und wuchs in Neuseeland auf. Sie studierte Englische Literatur und Kreatives Schreiben. Bereits für ihr Debüt „Anatomie des Erwachsens“ erhielt sie zahlreiche Literaturauszeichnungen. Mit „Die Gestirne“ legte sie nun ihren zweiten Roman vor, für den sie 2013 als jüngste Preisträgerin aller Zeiten mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichnet wurde.

Melanie Walz hat das gut 1.000 Seiten starke Werk nun übersetzt. Sie wurde 1953 in Essen geboren. Walz übersetzte u.a. Texte von John Cooper-Powys, Antonia Byatt und Lawrence Norfolk. Für ihre Arbeit wurde sie mit zahlreichen Preisen, zuletzt 2015 mit dem Übersetzerpreis der Stadt München, ausgezeichnet.

Nachdem die englische Originalausgabe „The Luminaries“ lange ungelesen auf meiner Wunschliste stand, durfte ich die deutsche Erstausgabe nun für eine Leserunde von Lovelybooks lesen.

Worum geht es?

Die Gestirne_CoverNeuseeland, 1866. Der Schotte Walter Moody wandert nach einigen familiären Auseinandersetzungen nach Neuseeland aus, wo er als Goldgräber sein Glück versuchen möchte. Nach einer langen und gefährlichen Überfahrt gelangt er in das Hafenstädtchen Hokitika, wo er sich zunächst ein Zimmer im örtlichen Hotel nimmt. Im Rauchersalon trifft er dort abends auf eine Gesellschaft von 12 Männern, die sich über eine Serie ungelöster Verbrechen austauscht. Schnell wird Moody in die rätselhaften Verstrickungen der Goldgräbergemeinde hineingezogen.

Wie fand ich …

… den Einstieg?

Das Buch überzeugt durch eine liebevolle und aufwändige Gestaltung: das Vorsatzpapier ziert eine Zeichnung der Stadt Hokitika; der eigentlichen Handlung ist zudem eine Widmung, ein Vorwort der Autorin „an den Leser“, eine Landkarte, ein Personenregister sowie ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt.

In der Infobox unter dem Beitrag findet Ihr eine Leseprobe, in der auch die ersten Seiten gezeigt werden. Ein Video, in dem ich durch die ersten Buchseiten blättere findet Ihr auf meiner Facebookseite.

Das Buch besteht aus 12 Teilen, die jeweils in mehrere Kapitel untergliedert sind. Vor jedem Teil ist eine astrologische Karte zu sehen, in der die Protagonisten zu bestimmten Sternkonstellationen in Verbindungen gesetzt werden. Jedem Kapitel ist eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse des jeweiligen Abschnitts vorangestellt. Darin wird der Leser – ganz im Stil der Zeit, in der das Buch spielt – vom auktorialen Erzähler direkt angesprochen. Durch die Verwendung des „wir“ entsteht schnell eine Nähe zum Leser.

Catton beginnt relativ unvermittelt mit der Szene im Raucherzimmer, deren Stimmung sie mit feiner Beobachtungsgabe und großem erzählerischem Talent präzise und anschaulich einfängt. Ich hatte schnell ein klares Bild der Situation vor Augen und war, auch ohne dass bereits irgendetwas geschehen gewesen wäre, sofort in „Die Gestirne“ gefangen.

… den Handlungsverlauf?

Die GestirneEiner Art Kaleidoskop gleich erzählt Eleanor Catton die Ereignisse, die zu den Verbrechen jenes Tages führten aus verschiedenen Perspektiven. Jeder der Männer, die sich im Raucherzimmer des Hotels versammelt haben, kann jeweils eine kleinen Ausschnitt der komplexen Zusammenhänge beleuchten. Nach und nach fügt sich so ein immer vollständigeres Bild zusammen. Dabei wirft jeder Lösungsbaustein aber auch seinerseits wieder neue Fragen auf. Das Ergebnis ist eine höchstkomplexe Handlung mit dicht verwobenen Beziehungsgeflechten, bei der es mir nicht immer leicht fiel alle losen Fäden, die sich im Laufe der Lektüre ergaben, auch tatsächlich im Augen zu behalten.
Umso höher erscheint daher die Leistung Eleanor Cattons, die mit „Die Gestirne“ nicht nur einen sehr durchdachten, sondern auch meisterhaft erzählten Roman abliefert, der durch seinen konstanten Spannungsbogen überzeugt. Scheinbar mühelos spielt sie mit den Erwartungen des Lesers und überraschte mich immer wieder mit unerwarteten Wendungen.

Eleanor Catton ordnet jedem Charakter ein bestimmtes Tierkreiszeichen bzw. Planeten zu. Die Handlung ergibt sich so schließlich auch aus den Sternenkonstellationen zur Handlungszeit. Da ich auch über keine besonderen astrologischen Kenntnisse verfüge, blieb mir dieser Apsekt in „Die Gestirne“ weitestgehend verschlossen. Der Spannung und meiner Freude beim Lesen tat dies jedoch keinen Abbruch.

… die Charaktere?

Eleanor Catton zeichnet sehr komplexe, überzeugende Charaktere, für deren Beschreibung sie sich viel Raum gibt. Mir gefiel es, wie sie bei jedem neu auftretenden Charakter die Handlung unterbricht und zunächst einmal ausführlich Aussehen und wesentliche Charakterzüge beschreibt. So hatte ich das Gefühl, ein sehr genaues Bild von jeder Figur dieses Romans zu haben. Dass dem mit Nichten so wahr und wirklich alle Personen auch andere Seiten besitzen, als man zuerst von ihnen sehen bekommt, machte für mich den besonderen Reiz von „Die Gestirne“ aus. Cattons Charaktere lassen sich nicht eindeutig in Kategorien wie „gut“ und „böse“ einteilen. Alle haben sie ihre Schwächen und kleinen oder großen Geheimnisse. Niemand spielt wirklich mit offenen Karten. Dieses Spiel zu durchschauen, forderte mich zwar ein uns andere Mal heraus; machte aber auch irrsinnig viel Spaß!

… den Schluss?

Obwohl das Ende eher ungewöhnlich ist und mir bei all den Büchern, die ich bereits gelesen habe, in dieser Form noch nie unterkam, fand ich es doch sehr gelungen. Es werden alle zu Beginn aufgeworfenen Fragen beantwortet. Dabei scheinen jedoch einige Antworten überzeugender als andere. Letztendlich bleibt es dem Leser überlassen, was von den angebotenen Lösungen und Zusammenhängen er oder sie tatsächlich glauben will und was nicht. Dass einiges so letztlich doch im Dunkeln bleibt, mag einige Leser frustrieren; mir gefiel diese Spiel mit den Erwartungen jedoch sehr, da es Platz für einige Interpretationen lässt.

Die Gestirne vor weißer WandSchön fand ich auch, dass die Teile und Kapitel je weiter man in dem Buch kommt, immer kürzer werden. Gleichzeitig nehmen die Ausblicke zu Beginn eines Kapitels an Umfang zu. Dieses Prinzip treibt Eleanor Catton so weit, dass schließlich die Zusammenfassung eines Kapitels nicht nur länger als der eigentliche Text; die wesentlichen Kernaussagen finden sich zum Schluss auch nur im Kapitelausblick und nicht mehr im Kapitel selbst. Dies ist zu Beginn des Romans noch ganz anders, wenn der Leser mit eher kryptisch anmutenden einleitenden Worten des Erzählers konfrontiert wird, die erst nachdem man das Kapitel gelesen hat, überhaupt einen Sinn ergeben. In dieser Aufteilung kommen für mich die Mondphasen zum Ausdruck. Man beginnt kurz nach Vollmond und bekommt eine sehr genaue, komplexe und verworrene Geschichte präsentiert, bei der fast nichts verborgen bleibt. In dem Maße jedoch, in dem auch der Mond abnimmt und immer größere Teile des Mondes im Dunkeln liegen, bleibt auch bei der Handlung immer mehr verborgen. Diese Umsetzung fand ich sehr originell und stimmig in Zusammenhang mit dem Gesamtkonzept des Romans, bei dem die Sternenkonstellationen eine große Bedeutung für den Handlungsverlauf haben.

…die Sprache?

Eleanor Catton entführt den Leser auch sprachlich in das 19. Jahrhundert. Anfangen beim auktorialen Erzähler, der seine Leser direkt anspricht, bis hin zu Wortwahl meinte ich tatsächlich ein Buch aus dem 19. Jahrhundert zu lesen. Nach der verwendeten Sprache zu urteilen hätte „Die Gestirne“ genauso gut aus der Feder eines Charles Dickens stammen können. Dass die Autorin in Wahrheit 1985 geboren wurde, verblüffte mich bei dieser im wahrsten Sinne des Wortes meisterhaften Erzählweise schon sehr. Auch von der guten Übersetzungsleistung, bei der nichts von der sprachlichen Atmosphäre verloren ging, ziehe ich meinen Hut.

Trotz aller sprachlichen Genauigkeit, mit der Eleanor Catton die Zeit, in der „Die Gestirne“ spielt, wieder auferstehen lässt, lässt sich der Roman jedoch erstaunlich flüssig lesen. Etwas gewöhnungsbedürftig fand ich zu Beginn nur, die sehr langen Schachtelsätze. Hieran hatte ich mich jedoch schnell gewöhnt.

Wie gefiel mir das Buch insgesamt?

Die Gestirne_Beitragsfoto„Die Gestirne“ überzeugt nicht nur mit einer liebevollen und aufwändigen Gestaltung, sondern auch mit einer spannenden, meisterhaft erzählten Handlung, in der es auch nicht an einer Prise Humor fehlt. Die Art, wie der Leser hier häppchenweise einzelne Lösungsbausteine serviert bekommt, die ihrerseits wieder neue Fragen aufwerfen, gefiel mir gut.

Auch mit den ausführlich dargestellten, komplexen Charakteren beweist Eleanor Catton ihrer erzählerisches Können, in dem sie diese immer wieder andere Wege gehen und neue Seiten zeigen lässt, als ich als Leserin erwartet hatte. So entstehen immer wieder verblüffende, spannende Wendungen, die es schwer machen, das Buch aus der Hand zulegen.

Durch den auktorialen Erzähler, der den Leser direkt anspricht und einbezieht, und die gelungene Wortwahl versetzt Eleanor Catton ihre Leser auch sprachlich in das 19. Jahrhundert, in dem „Die Gestirne“ spielt. So entsteht eine besonders dichte Atmosphäre. Mir fiel es dadurch besonders leicht, in das Buch hineinzufinden.

Bisweilen fiel es mir nicht ganz leicht bei der sehr verzweigten Handlung und dem dichten Beziehungsgeflecht den Überblick zu behalten. Dies erfordert schon etwas Konzentration. Nicht selten habe ich mir deswegen gewünscht, längere Passagen, als es mir im Alltag tatsächlich möglich ist, am Stück lesen zu können. Ich werde das Buch bestimmt noch einmal in einem meiner nächsten Urlaube lesen.

Bewertung: ♥♥♥♥♥ Lieblingsbuch

Titel: Die Gestirne ♦ Autorin: Eleanor Catton ♦ Übersetzung: Melanie Walz ♦ Verlag: btB Verlag ♦ Umfang: 1.040 Seiten ♦ Format: gebundenes Buch mit Schutzumschlag und Lesebändchen ♦ ISBN: 978-3-442-75479-3 ♦ Preis: 24,99€

Leseprobe 

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