Frauenleserin Rezension

“Mädchen für alles” von Charlotte Roche

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Charlotte Roche wurde 1978 im englischen High Wycombe geboren. Als Moderatorin wurde sie u.a. mit dem Grimme-Preis und dem Bayrischen Fernsehpreis ausgezeichnet. 2008 erschien ihr erster Roman „Feuchtgebiete“, der sehr kontrovers diskutiert und zum erfolgreichsten Buch des Jahres wurde. Auch mit ihrem zweiten Roman „Schossgebete“, der 2011 erschien, weiß Charlotte Roche zu provozieren und gelangte so monatelang auf die Bestsellerliste. Beide Romane wurden zwischenzeitlich erfolgreich verfilmt. Mit „Mädchen für alles“ legt Charlotte Roche nun ihren dritten Roman vor. Auch er ist bereits seit Wochen in den Bestsellerlisten vertreten. Zu Recht?

Worum geht es?

Christine ist jung, verheiratet, Hausfrau und Mutter eines kleinen Mädchens. Nach außen sind sie die perfekte Familie. Hinter den Kulissen jedoch schwindet der Glanz. Christine ist gelangweilt und fühlt sich vernachlässigt. Durch Marie, ihr neues Mädchen für alles, soll Christine wieder etwas mehr Zeit für sich bekommen. Aber Marie sieht auch verdammt gut aus. Dies bleibt auch Christines Ehemann nicht verborgen. Christine aber weiß sich zu wehren und beginnt selbst, mit Marie zu flirten. Die scheint zu weitaus mehr bereit zu sein, als Christine dachte…

Warum habe ich es gehört?

„Mädchen für alles“ ist mein erster Roman von Charlotte Roche. Zum ersten Mal war für mich ein klares Thema bei einem ihrer Bücher zu erkennen. Die Geschichte einer braven, gelangweilten Hausfrau und Mutter, die aus ihrem Alltag ausbricht und sich dabei über mehrere gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzt, versprach tatsächlich eine lohnenswerte und interessante Lektüre zu sein. Dass ich mich auch hierbei auf einige deftige Szenen einstellen musste, war mir klar. Daneben versprach ich mir jedoch auch eine literarische Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Frauenbild und der tradierten Mutterrolle.

Für das Hörbuch habe ich mich entschieden, weil mir hiervon einen besseren Zugang zum Text versprach. Auch schien mir Jessica Schwarz als Sprecherin eine gute Wahl.

Wie fand ich…

…das Cover?

roche-maedchen-fuer-alles-hoerbuch-9783869522982Schon optisch unterscheidet sich der neue Charlotte Roche-Roman von den beiden Vorgängern. Zwar ist man der roten Farbe im Cover treu geblieben. Diesmal fällt sie jedoch deutlich kräftiger aus. Auch ist zum ersten Mal kein Gegenstand, sondern ein Porträt darauf zu sehen. Man sieht eine jungen Frau mit weit aufgerissenen Augen. Meine erste Assoziation war, dass sie sich vor etwas erschreckt haben muss. Das macht natürlich neugierig auf den Grund. Durch diese Kombination aus Signalfarbe und erschrecktem Gesichtsausdruck erregte das Cover dann schon meine Aufmerksamkeit.

Leider ist mir auch nachdem ich das Hörbuch gehört habe, noch immer nicht klar, ob es sich dabei nun um Christine und Marie handeln soll. Die Verbindung zum Inhalt erschließt sich mir leider nicht.

…die Sprache?

Charlotte Roche schreibt in einem eher lockeren, leicht flapsigen Stil, der stark an die Umgangssprache bzw. das gesprochene Wort angelehnt ist. Die Sätze sind zum Teil unvollständig und ohne Objekt, z.B. „Habe mir dann doch…“ statt „Ich habe mir dann doch…“. Auch wird des Öfteren Lautmalerei wie beispielsweise „Zack! Keiner gemerkt.“ verwandet. Bei Hörbuch funktionierte diese Sprache in Verbindung mit der Ich-Erzählperspektive gut. So hatte ich den Eindruck, tatsächlich etwas erzählt zu bekommen.

…die Charaktere?

Die Charaktere fand ich dann leider doch problematisch.

Christine (Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin) war mir schrecklich unsympathisch und ging mir zunehmend auf die Nerven: Sie ist kindisch, pubertär, unreif, egoistisch, aggressiv, berechnend, launisch, faul und furchtbar mürrisch. Würde sie wenigstens noch mit einem leichten (selbst-)ironischen oder sarkastischen Unterton erzählen, hätte mich das vielleicht am Ende zumindest noch etwas amüsiert. So aber empfand ich sie einfach nur als destruktiv und nervig. Bei einer der Hauptprotagnisten ist das keine gute Ausgangslage für das Hörbuch.

Zum Glück war mir Marie wesentlich sympathischer. Sie ist das typische „nette Mädchen von nebenan“: fleißig, höflich, fröhlich, zuverlässig und pflichtbewusst. Irgendwie bekam ich aber auch von ihr kein klares Bild, weil die Figur viel zu stereotypisch bleibt und wenig ausdifferenziert beschrieben wird.
Gleiches gilt auch für Christines Ehemann.

Wirklich identifizieren konnte ich mich mit keinem der Charaktere.

…den Handlungsverlauf?

Was den Handlungsverlauf betrifft bin ich – genau wie dieser – etwas zwiespältig.

Wie Christine versucht, sich Marie zu angeln, ist zwar zu Beginn einigermaßen spannend und amüsant. Mir wurde es aber schnell zu langweilig, weil Christine auch dies natürlich (wie alles andere) nur sehr halbherzig angeht und das Interesse verliert, sobald Marie ihre Annäherungsversuche tatsächlich erwidert. Selbst die Erotik bleibt trotz einiger deftiger Szenen durch Christines berechnende Vorgehensweise ziemlich auf der Strecke.

Als ich gerade über den Abbruch nachdachte, kommt Charlotte Roche dann aber doch noch mit einer interessanten Wendung. Grundsätzlich mag ich es ja, wenn mich eine Autorin oder ein Autor mit einem geschickten Dreh der Geschichte überraschen kann. Hier jedoch war ich vor allem irritiert, denn Charlotte Roche kommt dabei vollkommen von der ursprünglich entwickelten Geschichte ab. Mit Marie und der Selbstbefreiung von Christine aus ihrer Ehe- und Mutterhölle hat das Hörbuch ab diesem Punkt rein gar nichts mehr zu tun. Spannend und unterhaltsam bis lustig war es zwar trotzdem. Mir fehlte aber doch der rote Faden, der beide Teile enger zusammenhält. Christines Annährungsversuche und ihr Weg aus ihrem Familiengefängnis geraten immer mehr in den Hintergrund und werden inhaltlich von anderen Problemen und Konflikten verdrängt, ohne später wieder aufgegriffen zu werden.

…das Ende?

Das Ende kommt mit einem ziemlichen Knall. Ich fand es schockierend und brutal, aber leider nicht mutig genug. Charlotte Roche schwächt es dadurch ab, dass sie diese starke Szene als reinen Tagtraum enttarnt. Mich hat das enttäuscht.

Unbefriedigend fand ich, dass vollkommen offen bleibt, was mit Marie und Christines Ehe wird. Von den in der ersten Buchhälfte aufgeworfenen Fragen und Themen ist Charlotte Roche am Ende so weit abgekommen, dass sich der Kreis hier leider nicht mehr schließt. Auch den stattdessen aufgenommenen Handlungsfaden erzählt Charlotte Roche leider nicht zu Ende.

Ein offenes Ende kann seinen Reiz haben, weil es die eigene Fantasie beflügelt. Im Fall von „Mädchen für alles“ fühlte ich mich aber einfach nur ratlos und wie irgendwo kommentarlos stehen gelassen.

…die Sprecherin?

Jessica Schwarz gefiel mir als Sprecherin recht gut. Sie hat ein angenehmes Sprechtempo und eine gute Intonation.

Schön fand ich, dass Jessica Schwarz sich nicht selbst in den Vordergrund drängt, sondern die Figur wirken lässt. Christines Langeweile und Lustlosigkeit sowie später ihre Aggressivität und Wut kommen so gut heraus – das machte mir Christine aber leider auch nicht sympathischer.

…das Hörbuch insgesamt?

Die emanzipatorische Idee hinter „Mädchen für alles“ gefiel mir recht gut. Charlotte Roche spielt mit dem tradierten Mutter- und Ehefrauenbild. Leider sagte mir die Umsetzung aber nicht zu. Hauptprotagonistin Christine war mir so unsympathisch, dass ich keinerlei Mitgefühl entwickeln konnte. Auch die anderen Figuren waren mir zu stereotypisch und blieben in meiner Vorstellung sehr leblos und blass.

Besonders enttäuschend fand ich jedoch den Handlungsverlauf und vor allem das Ende. Charlotte Roche entwickelt mehrere Erzählstränge, die im Grunde genommen alle interessant und spannungsreich sind. Leider führt sie keinen davon konsequent zu Ende. So blieb ich als Hörerin am Schluss ziemlich ratlos zurück.

Jessica Schwarz gefiel mir als Sprecherin gut. Sie liest in einem angenehmen Tempo und transportiert die jeweilige Gefühlslage sowie die Stimmungen von Christine sehr gut zum Hörer, ohne sich selbst dabei in den Vordergrund zu spielen. Die inhaltlichen und konzeptionellen Schwächen von Charlotte Roches „Mädchen für alles“ kann sie aber nicht ausgleichen. Dies wäre wohl aber auch zu viel verlangt.

Bewertung: ♥♥♥♥♥ hörbar


Titel: Mädchen für alles ♦ Autorin: Charlotte Roche ♦ Format: Hörbuch (6 CDs) ♦ Sprecherin: Jessica Schwarz ♦ Umfang: 404 Minuten (ungekürzte Lesung) ♦ Verlag: Osterworld Audio ♦ ISBN: 978-3-86952-298-2 ♦ Preis: 19,99€

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