Auf die Lesung von Lola Shoneyin im Weltempfänger-Salon in der letzten Woche hatte ich mich schon lange gefreut. Ihr Debütroman „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ ist für mich zu einem echten Geheimtipp geworden, den ich schon mehrfach empfohlen habe (zuletzt >>hier<<). Da wollte ich natürlich nicht auf die Gelegenheit verzichten, die Autorin hinter diesem ebenso klugen wie humorvollen Buch kennenzulernen.
Meine Erwartungen waren entsprechend groß; aber Lola Shoneyin übertraf sie dennoch.
Viele waren der Einladung des Litprom Vereins ins Haus des Buches nach Frankfurt gefolgt. Es mussten sogar noch weitere Stühle aufgestellt werden, um allen einen Sitzplatz anbieten zu können. Wirklich überrascht war man von den guten Besucherzahlen jedoch nicht, wie mir eine Mitarbeiter der Büchergilde, die an diesem Abend wieder einen Büchertisch aufgebaut hatten, erklärte. Schließlich war nicht nur mit Ilija Trojanow ein beliebter Moderator gefunden worden; auch Shoneyins Roman „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ gelangte dank eines ersten Platzes auf der Weltempfänger Bestenlisten Nr. 25 (aktuelle Liste ist Nr. 27), der Nominierung für den LiBeraturpreis 2015 sowie als Teil des aktuellen Jahresprogramms des „Anderen Literaturklubs“ bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad.
Vorstellung der Autorin Lola Shoneyin
So wurde Lola Shoneyin dann auch schon gleich zu Beginn der Veranstaltung mit Applaus begrüßt, bevor Ilija Trojanow die Autorin überhaupt vorgestellt hatte:
Lola Shoneyin wurde in Nigeria geboren, wo sie auch ihre frühe Kindheit verbrachte. Später besuchte sie verschiedene Internate in Großbritannien, kehrte aber nach ihrem Abschluss nach Nigeria zurück, wo sie auch heute noch lebt. Sie ist mit Olaokun Soyinka, dem Sohn des nigerianischen Literaturnobelpreisträgers Wole Soyinka, verheiratet. Das Paar hat vier Kinder.
Schon bei dieser kurzen Vorstellung wurde mir klar, dass dies zum Glück keine dieser furchtbar steifen und staubtrockenen Veranstaltungen werden würde, bei denen literarischer Anspruch und Seriosität mit völliger Humorlosigkeit verwechselt werden. Lola Shoneyin und Ilija Trojanow verstehen sich gut. Das merkte man gleich an der ungezwungenen Art, in der beide miteinander umgingen und sich bisweilen freundschaftlich neckten. Diese ungezwungene Stimmung übertrug sich schnell auf uns Zuhörer und sorgte binnen kürzester Zeit für eine angenehme und lockere Atmosphäre.
“Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi” ist ein sehr persönlicher Roman
Ich habe an diesem Abend sehr viel über Lola Shoneyins Leben und ihre Familie erfahren. Mir war nicht bewusst, wie stark ihr Roman „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ auf wahren Begebenheiten beruht. Zwar hatte ich schon gelesen, dass auch Shoneyins Großvater mehrere Ehefrauen hatte; und das obwohl er Christ war. (In Nigeria ist Polygamie weit verbreitet und tief in der Kultur verwurzelt.) Mit welcher Offenheit und Selbstsicherheit sie jedoch auch die schmerzhaftesten Momente und größten Schicksale ihrer Familie und Freunde mit einem wildfremden Publikum teilte, beeindruckte mich zutiefst.
So erzählt Shoneyin beispielsweise auch vom frühen Tod einer Freundin, deren Schicksal ebenfalls in ihrem Debütroman verarbeitet ist. Über die Vergewaltigung dieser guten Bekannten sei stets der Deckmantel des Schweigens gehüllt worden. Es sei eine Art Makel gewesen, den man am Besten erst gar nicht ansprach. In dieser ungesunden Atmosphäre sei es ihrer Freundin nicht möglich gewesen, ihre Depressionen zu bekämpfen, so dass sie schließlich daran zu Grunde ging.
All dies erzählt sie mit viel Engagement und großer Leidenschaft, jedoch ohne jemanden deswegen zu verurteilen. Ich zolle ihr dafür den größten Respekt.
Überhaupt erlebte ich Lola Shoneyin als sehr empathisch. Um die Handlungen und Einstellungen eines Menschen verstehen zu können, führt sie irgendwann an diesem Abend aus, müsse man stets auch darauf schauen, wo dieser her käme und was ihn zu der Person werden ließ, die er nun ist. Diese habe sie auch in ihrem Roman versucht, deutlich zu machen, in dem sie alle Frauen und Baba Segi selbst zu Wort kommen ließ, um ihre jeweiligen Geschichten zu erzählen.
Dabei spricht Shoneyin mit jeder dieser Frauen ein anderes gesellschaftliches Problem an, wie sie erklärt: es geht um versteckte Homosexualität, Depressionen, Zwangsverheiratung und einiges mehr. Wie viel tatsächlich in diesem Roman steckt, wurde mir erst an diesem Abend deutlich und ich beschloss, ihn mit diesem Wissen wohl ein zweites Mal zu lesen.
Lola Shoneyins Roman- Figur werden lebendig
Den größten Spaß hatte ich aber, als Lola Shoneyin selbst aus ihrem Buch vorlas. Die Stellen waren gut ausgewählt: zuerst las sie ein Kapitel aus dem Anfang des Romans, in dem Bolanle – die jüngste und einzige gebildete Frau von Baba Segi – erzählt, wie sie in seinen Haushalt kam. Später folgte dann ein Kapitel aus der Sicht von Iya Femi – Baba Segis dritter Frau und Shoneyins Lieblingscharakter, wie diese gestand. Wie Grund auf verschieden beide Frauen sind und welches Konfliktpotenzial hieraus erwächst, kam in diesen Stellen sehr gut zum Ausdruck. So bekam auch, wer den Roman noch nicht gelesen hatte, einen guten ersten Eindruck.
Während ihrer Lesung wurde auch deutlich, dass Lola Shoneyin eine Frau mit vielen Talenten ist. Eindrucksvoll stellte sie ihr schauspielerisches Talent unter Beweis. Vor allem Iya Femi las sie mit solch einem Ausdruck, dass sie fast schon selbst zu diesem Charakter zu werden schien. So wunderte es dann auch niemanden im Publikum ernsthaft, als Ilija Trojanow anschließend erzählte, dass Shoneyin auch schon als Schauspiellehrerin gearbeitet habe.
Ich war so begeistert von ihrer Lesung, dass ich Lola Shoneyin im Anschluss an die Veranstaltung fragte, ob sie nicht auch ein Hörbuch ihres Romans einlesen wolle. Leider ist dies bislang (noch) nicht geplant. Shoneyin räumte aber ein, ich sei nicht die Erste, die auf dieser Lesereise durch Deutschland diesen Vorschlag machte. Man darf also hoffen.
Vorher wird aber ein ganz anderes Projekt verwirklicht werden: „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ soll verfilmt werden, so berichtet Shoneyin als Antwort auf eine Frage aus dem Publikum. Man habe bereits einen Regisseur gefunden, der den Roman in einem nigerianischen Dialekt mit englischen Untertiteln drehen wolle. Es sei ihr wichtig gewesen, einen nigerianischen Regisseur zu finden. Dies sei gelungen. Durch die Verfilmung soll die Geschichte einem anderen, größeren Publikum zugänglich gemacht werden. Denn Bücher sind in Nigeria mit umgerechnet 6,- €, was etwa 10% eines durchschnittlichen Monatslohns entspricht, vergleichsweise teuer. Eine Kinokarte aber könne sich in Nigeria so gut wie jeder leisten. Zudem ist die Zahl der Analphabeten in Nigeria – auch und vor allem unter jungen Frauen und Mädchen – noch immer erschreckend hoch. Ich hoffe, dass die Verfilmung auch in Deutschland erhältlich sein wird.
Ilija Trojanows Moderation trägt maßgelblich zum Gelingen dieses Abends bei
Durch seinen lockeren Plauderton sorgte Ilja Trojanow praktisch von Anfang an für eine angenehme und entspannte Atmosphäre. Außerdem schaffte Trojanow es, die anfängliche Zurückhaltung und Scheu des Publikums davor, eine eigene Frage an Lola Shoneyin zu richten, abzubauen und einen regen Austausch zu fördern. So erfuhr dann auch noch von ihrem Engagement für Frauenrechte und gegen die (Zwangs-) Verheiratung von Minderjähirgen in Afrika und im arabischen Raum.
Eine Frage ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben, weil mich Shoneyins Antwort so sehr begeisterte: Eine Frau aus dem Publikum wollte wissen, weshalb Bolanle als Akademikerin freiwillig einen so ungebildeten Mann geheiratet habe. Shoneyin erklärte hierauf, dass Bolanle nach ihrer Vergewaltigung die Anonymität einer polygamen Ehe gesucht habe, um sich hier gewissermaßen „verstecken“ zu können. Sie erinnerte aber auch daran, dass Intelligenz keine Frage der Schulbildung ist, die in Afrika noch immer eine Frage des Geldes ist. Leider vergessen wir im Westen gerne einmal, dass nicht überall eine staatliche Schulpflicht besteht. Mit wie viel Respekt und Freundlichkeit Lola Shoneyin die Fragende auf diesen Irrtum hinwies, bewunderte ich sehr.
Diese respektvolle, vorurteilsfreie aber dennoch klare Haltung von Lola Shoneyin gepaart mit ihrer fröhlichen, humorvollen Art beeindruckte mich an diesem Abend am meisten. Daran merkte ich, wie nah ihr der Roman „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ tatsächlich ist, der in genau dem gleichen Tonfall geschrieben ist. So erhielt ich an diesem Abend auch die Bestätigung, dass ihr Roman höchst authentisch und kein bisschen gekünstelt ist, was für mich den Reiz und die Qualität eines Buches noch einmal erhöht.
Fazit
Insgesamt war es ein ebenso interessanter wie unterhaltsamer Abend, bei dem sich neue Eindrücke und Informationen mit Humor und Spaß die Waage hielten. Die vielfältigen Impressionen klangen in mir noch lange nach. Auch dieser Bericht gibt längst nicht alles wieder, was ich an diesem Abend erfahren habe. Vor allem Lola Shoneyin beeindruckte mich sehr. Sie ist eine wunderbar moderne, emanzipierte, selbst bewusste und humorvolle Frau. So geriet ich schließlich auch auf Twitter von ihr ins Schwärmen:
Oh, mein Gott! Die Frau ist noch toller als ihr Roman! Wenn ihr die Chance habt, Sie lesen zu hören, geht unbedingt hin. Und lest das Buch!
— KerstinScheuersBlog (@KWerksttten) 14. Juli 2015
(Wo ich gerade bei Twitter bin, möchte ich mich an dieser Stelle auch noch bei meiner linken Sitznachbarin entschuldigen. Ich glaube, ich bin ihr mit meinem ständigen Getippe auf dem Handy etwas auf die Nerven. Aber ich wollte über so viel wie möglich live auf Twitter und Instagram berichten und meine eigene Begeisterung mit anderen passionierten Lesern teilen.)
Nächster Weltempfänger-Salon: Gast: Horacio Castellanos Moya ♦ Moderation: Corinna Santa Cruz ♦ deutsche Lesung: Jochen Nix ♦ Datum: 16.09.2015 ♦ Uhrzeit: 19:30 Uhr ♦ Ort: Haus des Buches, Frankfurt a.M.