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“Hunger (Die Geschichte meines Körpers)” von Roxane Gay

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Triggerwarnung: Der folgende Beitrag thematisiert u.a. Essstörungen, Vergewaltigung, Suizid und Depressionen.

Zu Beginn des Jahres machte ich eine Liste mit einigen Backlist Büchern, die ich 2019 endlich lesen möchte. Darunter befand sich auch “Hunger. A Memoire of my Body” von Roxane Gay. Dass das Buch – genau wie “Bad Feminist” – vor Kurzem auch in deutscher Sprache erschien, traf sich deshalb sehr gut.

In “Hunger. Die Geschichte meines Körpers” beschreibt Roxane Gay ihr Leben, in einem “widerspenstigen Körper”; einem Körper, den es ihr nicht gelingt, zu “bändigen”, so ihre eigenen Worte. Dabei erzählt sie nicht nur über die Probleme, die mit ihren Körpermaßen einhergehen und den Vorurteilen, vor denen sie immer wieder steht. Sie beschreibt auch, wie es dazu kam, dass sie nicht mehr aufhören konnte, zu essen.

Und das in einer unbeschönigten Deutlichkeit, das es an einigen Stellen nur schwer zu ertragen ist. Gays Direktheit und Offenheit sind mehr als beeindruckend; nicht zuletzt weil sie dabei bisweilen mit sich selbst hart ins Gericht geht. In dieser unverhohlenen Erzählweise beschreibt sie, wie sie als Jugendliche von ihrem Freund und dessen Bekannten vergewaltigt wurde. Wie sie sich nicht traute, sich den Eltern oder sonst jemanden anzuvertrauen. Und wie sich einen Schutzpanzer anfrass, um sich vor weiteren Übergriffen zu schützen.

Essstörungen in Folge posttraumatischer Belastungsstörungen sind gerade im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen relativ häufig. Nachdem die Betroffenen eine Situation erlebten, in der  Fremde über ihre Körper bestimmten, spüren sie so, dass sie noch immer Kontrolle über ihren Körper haben. In den Niederlanden starb gerade eine 17-jährige, die nach mehreren Vergewaltigungen aufhörte zu essen und zu trinken. Eine Zeitlang wurde sie über eine Sonde zwangsernährt. Ihre Eltern ließen nichts unversucht, um das Leben ihrer Tochter zu retten. Letztlich stimmten sie aber ihrem Wunsch zu, sämtliche lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen. (In den Niederlanden ist dies ebenso möglich wie aktive Sterbehilfe.) Dies mag sicher ein extremes Beispiel sein – vor allem durch das kontrovers diskutierte Verhalten der Eltern – aber es zeigt, die Relevanz des Themas, dem Roxane Gay nun eine deutliche, unbequeme (prominente) Stimme verleiht.

Dieser Teil von “Hunger. Die Geschichte meines Körpers” war für mich am schwersten zu verdauen. Aber auch die Beschreibungen von Gays Fressanfällen taten mir fast körperlich weh, denn auch ist sie brutal aufrichtig.

Aber Roxane Gay schildert in “Hunger. Die Geschichte meines Körpers” nicht nur die Hintergründe ihrer Gewichtszunahme. Sie beschreibt auch, wie die Gesellschaft auf ihre Körperfülle reagiert. Wie sie als Dicke diskriminiert und immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert wird.

Als Ehefrau eines Mannes, der XXXL trägt, dachte ich bislang immer hiervon weitestgehend befreit zu sein. Roxane Gay belehrte mich eines besseren.

Vielem konnte ich uneingeschränkt zustimmen. Etwa dass die Gesellschaft noch immer verlange, dass man sich als Frau möglichst klein macht, wenig Raum einnimmt. Und dies auch durchaus ganz wörtlich im körperlichen Sinne. Oder wie viele Menschen eine dicke Person sehen und meinen, sich allein anhand des Bauchumfangs bereits ein vollständiges Bild von dem betreffenden Menschen machen zu können. Mich ärgert es immer wieder, wenn mein Mann nur als Bauch wahrgenommen wird. Und ich weiß, dass man sich ab einem bestimmten Gewicht über scheinbar profane Dinge wie Armlehnen, Sitzabstände (z.B. zu Lenkrädern) oder die Tragfähigkeit von Plastikstühlen Gedanken machen muss. Oder habt ihr mal versucht, eine Handtuchserie zu finden, die sowohl Duschtücher als auch größere Sauna- bzw. Strandtücher im gleichen Design beinhaltet?! Bis vor einem halben Jahr hätte ich nicht gedacht, dass das tatsächlich eine Herausforderung ist.

An einigen Stellen rieb ich mich aber sehr. Meine erste Reaktion war es, sie als übertrieben abzulehnen und Roxane Gay als überempfindlich abzustempeln. Es dauerte eine Weile, bis ich mir eingestehen konnte, dass ich mich an diesem Stellen einfach nur ertappt fühlte. Dass mir ein Spiegel vorgehalten wurde, der mir zeigte, dass auch ich mich nicht immer korrekt verhalte. Für diese unangenehme Erkenntnis danke ich “Hunger. Die Geschichte meines Körpers” sehr. Ich habe meinen Mann danach sogar auf bestimmte Dinge angesprochen, die mich besonders beschäftigten.

Dennoch fand ich das Buch bisweilen redundant und etwas unsortiert. Die Aussage mancher Kapitel erschlossen sich mir gar nicht, z. B. wenn Gay seitenweise über verschiedene Kochversuche sinniert.

Alles in allem ist “Hunger. Die Geschichte meines Körpers” von Roxane Gay aber ein absoluter

♥♥♥♥ Buchtipp!

Aber Vorsicht: Lesen gefährdet die Intoleranz!

Hunger. Die Geschichte meines Körpers • Roxane Gay (Anne Spielmann) • btw • Hardcover mit Schutzumschlag / eBook • 320 (Print-)Seiten • ISBN: 978-3-442-75814-2 (Print)/ 978-3-641-22758-6 (eBook) • 22,-€ (Print) / 14,99€ (eBook) • Leseprobe: >>klick<<

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3 Kommentare

  1. Hallo Kerstin,
    ich hatte diese Rezension bereits auf deinem Blog gesucht und nun ist sie da…

    Ich stimme dir absolut zu! Du hast ja meine Meinung bereits gelesen. Ich habe einige Tage gedanklich an diesem Buch gehangen und versucht es für mich ins rechte Licht zu rücken. Sie ist offen, spricht Unbequemlichkeiten und die Wahrheit an.
    Ich hatte ein großes Problem damit, dass ich aus ihrer Erzählung einfach nicht herausfinden konnte, warum sie sich, bis vor 2 Jahren, ihrer Familie nicht geöffnet hatte. Ihr Vater hat von der Vergewaltiung aus einer Rezension zu einem anderen Buch von ihr erfahren. Und da bin ich gedanklich dann irgendwie ausgestiegen. Vielleicht verstehst du, was ich meine.

    Es ist furchtbar, was ihr passiert ist, deshalb ist es wichtig, solche Bücher sichtbar zu halten, damit die Gesellschaft daraus lernt und Betroffene mehr Mut bekommen sich zu öffnen, zu therapieren…

    Tolle Rezi! Werde sie bei mir verlinken.
    GlG, monerl

    • Hallo monerl,
      ich weiß, was du meinst. Ich selbst hab mich daran aber gar nicht gestört. Für mich macht das schon Sinn, dass sie ihren Eltern gegenüber das “brave” Mädchen bleiben wollte. (Die allermeisten wollen es ihren Eltern ja Recht machen.) Außerdem gehe ich davon aus, dass in ihrer Familie nicht sonderlich offen mit dem Thema Sex umgegangen wird. Das habe ich jedenfalls aus der Andeutung, dass sie christlich erzogen wurde, entnommen. Und da dürfte es sicher noch einmal wesentlich schwerer fallen, über eine Vergewaltigung zu sprechen.
      Vielen Dank für die Verlinkung.

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