Frauenleserin Rezension

“Nachts” von Mercedes Lauenstein

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Mit „Nachts“ legt Mercedes Lauenstein ein ungewöhnliches, leises und doch berührendes Debüt vor. Ihre klare, nachdenkliche Sprache schafft es, Philosophisches so unanstrengend zu verpacken, dass ich es auch nach einem 10 Stunden-Arbeitstag noch gut lesen konnte. Die Art des Spannungsaufbaus, den Mercedes Lauenstein in „Nachts“ wählt, ist so ungewöhnlich wie ihre Charaktere. Besonders angetan hatte es mir aber vor allem das Ende, das mich schließlich ganz für „Nachts“ einnahm.

Worum geht es?

Eine junge Frau streift regelmäßig durch die dunkle Stadt auf der Suche nach den letzten Wohnungen, in denen noch Licht brennt. Sie klingelt an fremden Haus- und Wohnungstüren, um zu erfragen, warum die Personen nachts wach sind. So erhält sie zum Teil sehr intime Einblicke in fremde Leben. Dabei scheint es jedoch etwas ganz anderes zu sein, dass sie eigentlich sucht.

Warum habe ich es gelesen?

Nachts_08.inddHauptsächlich war es das Cover, das mich auf das Buch aufmerksam werden ließ. So schlicht es auch zunächst erscheint; so gelungen ist doch die Gesamtkomposition. Das tiefe Blau erinnert an das Dunkel der Nacht und verbreitet eine angenehmere Atmosphäre als es ein reines Schwarz getan hätte. Die Buchstaben des Titels, der im Mittelpunkt des Covers steht, scheinen zwischen halb geschlossenen Lamellen-Jalousien hervorzuluken. Das Ganze wirkt sehr klinisch, steril und frei von jeder Emotionalität.

Außerdem hatte ich auf Twitter und Instagram einige begeisterte Kommentare in meiner Timeline. – Mit dem eigentlichen Inhalt hatte ich mich im Vorfeld wenig beschäftigt.

Wie war mein erster Eindruck?

Der Aufbau des Buchs überraschte mich zu Beginn etwas. Mercedes Lauenstein erzählt in „Nachts“ nicht in der klassischen Romanform, die ich erwartet hatte, sondern präsentiert dem Leser lediglich die reinen Aufzeichnungen der jungen Frau über ihre nächtlichen Besuch und Gespräche. Jeder dieser kurzen Abschnitte des Buchs beginnt mit dem Wochentag und der Uhrzeit ihres spontanen Besuchs. Daher dachte ich zunächst, es handele sich um einen Tagebuch-Roman. Anschließend werden jedoch die Wohngegend, das Haus, die Wohnung und die Person, die dort lebt beschrieben, bevor das eigentliche Gespräch dargestellt wird. Durch das Fehlen jeder persönlichen Wertung wirkt dies insgesamt, als läse man klinische oder wissenschaftliche Aufzeichnungen.

Mercedes Lauenstein stellt diese Beschreibungen vollkommen lose nebeneinander. Einen erzählerischen Rahmen, der die einzelnen Besuchsaufzeichnungen in einen größeren Gesamtkontext einbetten würde, gibt es nicht. Diesen muss sich der Leser durch aufmerksames Verfolgen des Textes selbst erarbeiten. Obwohl ich eigentlich keine besonders große Freundin von Tagebuch- und/oder Briefromanen bin, hat mir dieses ungewöhnliche Konzept gut gefallen.

Wie fand ich die Charaktere?

Auch in diesem Punkt ist „Nachts“ ein Kuriosum, denn die einzige Hauptperson und figürliche Konstante des Buchs ist die Aufzeichnerin selbst, die sich jedoch so wertungsneutral verhält und selbst zurücknimmt, dass man nur sehr wenig über sie erfährt. Lediglich aus zarten Andeutungen bekommt der Leser eine leise Ahnung davon, dass mehr hinter den nächtlichen Besuchen stecken könnte, als zunächst vorgegeben wird. Genau diese detektivische Rechercheaufgabe, die Mercedes Lauenstein ihren Lesern aufgibt, machte das Buch so interessant. Dies ist das eigentliche verbindende Element, das mich als Leserin bei der Stange hielt.

Die restlichen Charaktere sind ausnahmslos Randfiguren, denen jeweils nur ein paar Seiten gewidmet werden. Dennoch rückt sie Mercedes Lauenstein in „Nachts“ in den Mittelpunkt. In knappen, kurzen Sätzen beschreibt sie beeindruckend plastisch und präzise, wer der Erzählerin zur nächtlichen Stunde die Tür öffnet und damit einen einzigen, kurzen Einblick in ihr Leben gewährt. Von der alleinerziehenden Mutter über den Bäcker im Ruhestand und den Dauerstudierenden bis hin zu vollkommen skurrilen Personen ist alles dabei. Und genauso bunt wie die Personen selbst, sind auch die Gründe für ihr nächtliches Wachen. Eines jedoch haben sie alle gemeinsam: sie unterwerfen sich nicht dem üblichen Rhythmus unseres Lebens. Ihr nächtliches Wachen – ob nun freiwillig oder gezwungen – macht sie zu Außenseitern. Den Raum, der ihnen in „Nachts“ eingeräumt wird, macht mal nachdenklich, mal traurig, mal philosophisch, und manchmal auch einfach nur ratlos oder sogar ein bisschen Angst. Mir haben diese kurzen Begegnungen und Einblicke gut gefallen.

Wie fand ich den Schluss?

Der Schluss konnte mich dann noch einmal so richtig aus dem Sessel reißen. Hier wird dann endlich die Identität der Aufzeichnerin verraten. Und obwohl es eher beiläufig geschieht, gelingt hier ein wahre Überraschung, denn Erzählerin stellt sich – so viel sei verraten – als jemand ganz anderes heraus, als ich während meiner Spurensuche im Text eigentlich dachte. Auch gehört einer Gruppe an, die in unserer Gesellschaft eine Außenseiterrolle einnimmt. So schließt sich am Schluss nicht nur auf eine schöne Weise der Kreis; mich stimmte „Nachts“ auch etwas nachdenklich. Gerade das Ende beschäftigte mich, auch nachdem ich die Lektüre beendet hatte, noch eine Weile.

Wie fand ich das Buch insgesamt?

Mit „Nachts“ ist Mercedes Lauenstein ein ungewöhnliches Debüt gelungen, das ganz ohne große Dramatik und Getöse Aufmerksamkeit erzeugt, ohne langweilig oder trivial zu wirken. Durch die klaren, leisen Worte, die sie für ihre Figuren findet, hebt sich das Buch angenehm von der Masse an Neuerscheinungen und Debüts ab. Es spricht etwas Nachdenkliches, Philosophisches aber auch Intimes, Zartes und Verletzliches aus Mercedes Lauensteins Text. Gleichzeitig wirkt er jedoch leicht und unangestrengt und lässt sich angenehm lesen, auch wenn man wie ich nach einem 10 Stunden-Arbeitstag noch einmal zum Buch greift.

Die Nacht, so erkannte ich, gehört jenen, die den üblichen Rhythmus des Lebens verloren haben und nun auf einen neuen Tag, einen neuen Anfang warten.

Bewertung: ♥♥♥♥♥ Buchtipp!

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Titel: Nachts ♦ Autorin: Mercedes Lauenstein ♦ Verlag: Aufbau ♦ Format: Hardcover (mit Schutzumschlag) ♦ Umfang: 190 Seiten ♦ ISBN: 978-3-351-03614-0 ♦ Preis: 18,95€

 

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