Es sind große Fußstapfen, in die Luise Erdrich mit “Der Gott am Ende der Straße” hineintreten möchte. Bereits in seiner Vorschau auf das aktuelle Frühjahrsprogramm verglich der Aufbau Verlag es mit „Der Report der Magd“. Tatsächlich lassen sich die Parallelen nicht von der Hand weisen. In beiden Romanen spielen Religion und Frauenhass zentrale Rollen.
Luise Erdrich entwirft in „Der Gott der Straße“ eine Zukunftsvision, in der schwangere Frauen verfolgt und inhaftiert werden. Nachdem sich die Evolution aus ungeklärten Gründen wieder zurückentwickelt und sich Neugeborene auf lange vergangenen Evolutionsstufen entwickeln, werden Schwangerschaften zur gesellschaftlichen Bedrohung. Auch die Protagonistin Cedar ist schwanger und damit wahrscheinlich in Lebensgefahr, denn man munkelt, dass keine der aufgegriffenen Schwangeren nach der Geburt wiedergesehen wurde. Also taucht sie unter und lebt fortan mit der ständigen Angst, dass ihre Schwangerschaft erkannt und sie denunziert wird. Der Roman stellt eine Art Tagebuch dar, das Cedar für ihr ungeborenes Kind über die Erlebnisse während dieser Zeit schreibt.
Darin stehen die Beschreibungen vom Verfall der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung und der Rückentwicklung der Evolution in einem starken Kontrast zu den Gefühlen einer werdenden Mutter, einer Frau, die sich bewusst ist, das neues Leben und damit auch ein Stück Zukunft in ihr heranwächst. Nachdem der Notstand ausgerufen wurde, ist binnen kurzer Zeit keine neutrale Nachrichtenberichterstattung mehr vorhanden. In ihrem Garten kann Cedar eine urzeitlich anmutende Flugechse dabei beobachten, wie sie den Nachbarshund frisst. Religiöse Fundamentalisten predigen vom Zorn und der Strafe Gottes, die sich in der rückwärtigen Entwicklung der Evolution zeige, und nutzen die allgemeine Verwirrung und Unruhe zum Regierungssturz und Aufbau einer religiösen Diktatur. Und mitten in all dem Chaos versucht Cedar sich unbemerkt auf die Geburt vorzubereiten und verfolgt gleichzeitig vorfreudig und ängstlich die Entwicklung ihres Kindes. (Ist es „normal“? Wird es überleben? Wird sie es behalten dürfen?)
Leider gelingt es Luise Erdrich nicht die in der beschriebenen Szenerie mitschwingende düstere, apokalyptische Stimmung ähnlich eindringlich zu transportieren, wie es Margaret Atwood eigen ist. Dafür hat „Der Gott am Ende der Straße“ aber genau das, was ich an „Der Report der Magd“ so vermisste: nämlich einen fesselnden Spannungsbogen mit der ein oder anderen unvorhergesehenen Wendungen. Da sieht man gerne darüber hinweg, dass die Handlung an einigen Stellen doch etwas konstruiert wirkte. (So war es mir beispielsweise zu viel “glücklicher Zufall”, dass Cedar Adoptivmutter ehemalige Hebamme ist.)
Darüber hinaus gefiel mir auch, wie geschickt Erdrich ethnische Aspekte in die Romanhandlung einflicht. Cedar ist nämlich Halbindianerin. Genau wie Erdrich eigene Mutter gehört auch Cedars dem Stamm der Ojibwa an. Und so erfährt man ganz nebenbei auch noch etwas über das Leben in den Indianerreservoirs. Auch zeigt Erdrich damit, wie gut ein Nebeneinander der Religionen funktionieren kann. Am deutlichsten wird dies in der Figur von Cedars Mutter. In ihr treffen die alten indianischen Mythen auf den katholischen Glauben.
Insgesamt
habe ich “Der Gott am Ende der Straße” sehr gerne gelesen. Auch wenn es Erdrich nicht gelingt, einen ähnliche dichte Atmosphäre wie Atwood zu schaffen, überzeugte sie mich mit einer spannenden, wendungsreichen Handlung und einem flüssigen Erzählstil.
♥♥♥♥ Buchtipp!