Netflix ist es zu verdanken, dass ein Horrorklassiker als weiblicher Feder endlich wieder etwas mehr Aufmerksamkeit erhält. Tatsächlich ist die Serienadaption bereits die dritte Verfilmung von Shirley Jacksons “Spuk in Hill House”, das bereits 1959 veröffentlicht wurde. Und auch eine Theaterinszenierung hat es schon gegeben.
Das Buch wurde vom National Book Award als eine der “besten Gespenstergeschichten seiner Zeit” gelobt und schaffte es dort bis ins Finale. Und selbst der Großmeister des Horror, Stephen King, bezeichnet “Spuk in Hill House” in seinem Buch “Danse Macabre” als “einen der wirklich großen unheimlichen Romane der vergangenen Hundert Jahre”.
Dabei ist die Handlung im Grunde schnell erzählt und unterscheidet sich kaum von anderen klassischen Spukhausgeschichten:
Vier Personen ziehen für einen Sommer in ein altes Herrenhaus, von dem es heißt, dass dort schon übernatürliche Aktivitäten beobachtet wurden. Tatsächlich widerfahren allen nachts unheimliche Dinge. Sie nehmen seltsame Geräusche wahr und entdecken Beschriftungen an Wänden. Auch natürlich gibt es die für dieses Horrorsubgenre unvermeidbaren Séancen.
Was also macht “Spuk in Hill House” so besonders?
Für mich war es der Blick in die Psyche der Protagonistin Eleanor Vance, der dieser Spukhausgeschichte eine Dimension gibt, die in diesem Genre so nur selten zu finden ist. So erfährt die Leserin sehr früh, dass Eleanor sich in den vergangenen Jahren sehr für die Pflege ihrer dominanten und schikanösen Mutter aufopferte, ohne ein eigenes, selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dass sie wegen des Todes ihrer Mutter nicht nur Trauer sondern auch so etwas wie Erleichterung empfindet, macht Eleanor ein schlechtes Gewissen. Schon während ihrer Fahrt nach Hill House verirrt sie sich in seltsamen Tagträumen und in Hill House selbst ist sie es, die die meisten Geistererscheinungen und paranormalen Geschehnisse erlebt. Ist es das Haus mit seinen übernatürlichen Kräften, das immer stärker Besitz von ihr ergreift? Hat Eleanor telekinetische Fähigkeiten, von denen sie selbst nichts ahnt, und ist so selbst der Ursprung der unheimlichen Phänomene? Oder liest man schlicht von den Wahnvorstellungen einer psychischen kranken Frau, der die vergangenen Jahre an der Seite ihrer schwer kranken Mutter zu sehr zusetzten? Indizien lassen sich für alle drei Erklärungen finden. Die endgültige Antwort bleibt Shirley Jackson ihren Leserinnen schuldig. Und gerade dieser Raum eigene Spekulationen mag den eigentlichen Grusel der Geschichte aus.
Modernere Spukhausgeschichten sind da deutlich plakativer und weniger hintergründig. In “Der Fluch von Carrow House” braucht Darcy Coates beispielsweise gleich eine ganze Armada von Geistern und Gespenstern, ein nicht enden wollendes Gewitter, rollende Köpfe, erhängte Frauen, einen Friedhof im Keller und einiges mehr, um eine schaurige Atmosphäre zu erzeugen.
Nicht dass mir “Der Fluch von Carrow House” nicht gefallen hätte. Darcy Coates versteht ihr Handwerk. Vor allem was Timing und Dynamik angeht, beweist sie ein erstaunlich sicher Händchen. “Der Fluch von Carrow House” hangelt sich von einem Cliffhanger-Kapitel zum nächsten. Ich bin phasenweise ziemlich atemlos durch die Seiten geflogen. Aber die psychologische Ebene fehlt eben vollständig. Und auch die Möglichkeit, dass einer der Gruppe für die merkwürdigen und tödlichen Ereignisse verantwortlich ist, ist nur sehr schwach angelegt und wird schnell und unmissverständlich wieder verworfen. Das fand ich ebenso schade, wie das – Vorsicht, Spoiler! – viel zu seichte Heile-Welt-Ende.
“Der Fluch von Carrow House” lässt einfach kaum Raum, um im Kopf der Leserin eine eigene Geschichte entstehen zu lassen. Dabei ist der Grusel meist sehr viel eindrücklicher und nachhaltiger, wenn er der Leserin nicht von außen aufgezwungen wird, sondern in ihr selbst entsteht. Dass genau das beim Lesen von Shirley Jacksons “Spuk in Hill House” geschieht, macht diese Spukhausgeschichte so besonders. Ihr Ende wirft Fragen auf, bleibt Antworten schuldig – und zwingt die Leserin so zu eigenen Schlussfolgerungen.
Ein weiterer Aspekt ist sicherlich, dass in “Spuk in Hill House” neben all dem Grusel und Horror noch Platz für humoristische Elemente bleibt. Besonderen Spaß hatte ich in dieser Hinsicht an der arroganten Mrs. Montague. Sie hält sich für ein Geistermedium und reist ihrem Mann hinterher, um ihn für ein Wochenende mit ihren Séance zu “unterstützten”. Dass sie und ihre Methoden im Grunde niemand der restlichen Anwesenden richtig ernst nimmt, scheint sie dabei gar mitzubekommen. Umso amüsanter ist es da, wie sehr der kompetente und souveräne Mr. Montague vor ihr kuscht. Es sind diese kleinen Details, die eine Geschichte und ihre Charaktere lebendig werden lassen. Und es ist eine Kunst, komische Elemente so natürlich in einer Horrorgeschichte unterzubringen, dass sie von der Leserin nicht als störend oder albern empfunden werden.
Insgesamt hatte ich mit beiden Spukhausgeschichten meinen Spaß.
“Spuk in Hill House” überzeugt vor allem mit seiner psychologischen Komponente, durch die der Leserin der Horror nicht von außen aufgezwungen wird, sondern durch deren eigene Fantasie selbst erzeugen wird und so schließlich deutlich nachdrücklicher ist.
♥♥♥♥ Buchtipp
Bei “Der Fluch von Carrow House” gefielen mir vor allem Erzähltempo, Timing und Dynamik der Geschichte, auch wenn diese deutlich plakativer und mit einem für meinen Geschmack viel zu positiven Ende ausgestattet ist.
♥♥♥ lesenswert
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