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“Unter Tränen gelacht – Mein Vater, die Demenz und ich” von Bettina Tietjen

Kommentare 6

Mit “Unter Tränen gelacht – die Demenz, mein Vater und ich” ist Bettina Tietjen ein sehr persönliches und emotionales Buch gelungen, das weder von der medizinische Seite noch ausschließlich vom Schmerz des Abschieds erzählt, sondern von Lebensfreude, menschlicher Wärme und heiteren Stunden berichtet. Für mich war es mehr ein Buch, das Kraft macht und den Blick für die schönen kleinen Momente im Alltag schärft, als ein Buch über Demenz. Ich kann es daher auch Leuten empfehlen, die wie ich keinen persönlichen Bezug zu dieser Krankheit haben.

Bewertung: ♥♥♥♥ Buchtipp

Worum geht es?

Als die Demenz bei Bettina Tietjens Vater so weit fortgeschritten ist, dass er nicht mehr alleine wohnen kann, sucht Bettina Tietjen für ihn einen Platz in einem Seniorenheim bei sich in der Nähe. Sie begleitet ihn sehr eng in seiner letzten Lebensphase und kommt ihm noch einmal so nah wie schon lange nicht mehr. In ihrem Buch erzählt Bettina Tietjen gleichermaßen von den Zweifeln, Selbstvorwürfen und Schmerz des Abschiedsnehmens wie auch von den glücklichen und komischen Momenten, die sie während dieser Zeit erlebt.

Warum habe ich es gelesen?

Ich bin auf “Unter Tränen gelacht – die Demenz, mein Vater und ich” bei Lovelybooks aufmerksam geworden, wo man sich für einen Leserunde hierzu bewerben konnte. Die Freitagabend-Sendung mit Bettina Tietjen sehe ich sehr gerne. Ich finde die Moderatorin sehr sympathisch. Auch mag ich (auto-) biografisches und Erlebnisberichte. Daher bewarb ich mich und hatte das Glück, teilnehmen zu dürfen.

Wie war mein erster Eindruck?

Gleich von den ersten Seiten war ich überrascht. Ich hatte nicht mit einem so ehrlichen und persönlichen Buch gerechnet. Bettina Tietjen schreibt in einer sehr liebevollen und einfühlsamen Art von ihrem Vater. Man merkt ihr an, dass sie ihren Frieden mit dem Tod ihres Vater machen konnte.

Wie fand ich die Sprache?

An der Lesbarkeit des Buches hatte ich nie Zweifel. Dass Bettina Tietjen als Journalistin dazu in der Lage ist, ein ebenso unterhaltsames wie informatives Buch zu verfassen, war mir klar. Ich hatte jedoch eher mit einer Art Sachbuch gerechnet, das durch persönliche Erlebnisse angereichert wurde. Tatsächlich aber finden sich in “Unter Tränen gelacht” sehr wenig medizinisches Fachausdrücke, was ich sehr angenehm fand.

Das Buch versucht weniger über die Erkrankung selbst aufzuklären, als zu schildern, wie Bettina Tietjen und ihre Familie als Angehörige hiermit umgingen und diese anzunehmen lernten. Es ist mehr Erfahrungs- bzw. Erlebnisbericht als Sachbuch. Entsprechend ist das Buches auch in einer Sprache verfasst, wie man sie von Bettina Tietjen aus ihren Sendungen gewohnt ist: ruhig, sachbezogen, aber stets auch mit persönlichen Gefühlen, Gedanken und Erlebnissen verbunden. So fällt es leicht, sich in die Situationen einzufühlen und einen Bezug dazu zu entwickeln, selbst wenn man selbst keinen Fall von Demenz in der eigenen Familie hat.

Wie fand ich das Buch insgesamt?

Die erstaunlich offene und persönliche Schilderung der letzten Lebensjahre von Bettina Tietjens Vater hat mich schwer beeindruckt. Es ist sicher nicht leicht, fremden Personen einen so tiefen Einblick in das eigene Familienleben und die persönliche Gefühlswelt zu geben. Selbst das Familienalbum wird für den Leser geöffnet. Hiervor habe ich großen Respekt.

Auch die Erzählweise sagte mir zu. Selbstverständlich ist “Unter Tränen gelacht” aus der Ich-Perspektive geschrieben. Dies schafft natürlich immer sofort eine große Nähe zwischen Autor und Leser.

“Unter Tränen gelacht” erzählt den gesamten Krankheitsverlauf vom ersten “Tüdeln”, über das man noch weitgehend hinweg sieht, bis zur totalen Orientierungslosigkeit. Dabei geht Bettina Tietjen aber nicht streng chronologisch vor, sondern beginnt mit dem größten Einschnitt, den das Leben ihres Vaters durch die Erkrankung erfährt: den Umzug vom Ruhrgebiet nach Hamburg ins Pflegeheim. Von hieraus begleitet man Bettina Tietjen und ihren Vater auf ihrem weiteren Weg. Hierbei sind immer wieder sehr geschickt Anekdoten, Erinnerungen und Erlebnisse aus früheren Zeiten eingeflochten. Durch diese immer wiederkehrenden Rückblenden bekommt der Leser schließlich nach und nach ein vollständiges Bild vom Krankheitsverlauf vermittelt, ohne dass die Erzählung langatmig oder langweilig würde.

Es hat mich erstaunt, wie unterhaltsam und heiter Bettina Tietjen diese letzten Lebensphase ihres Vaters schildert. Trotz der stark fortschreitenden Krankheit sprüht dieses Buch geradezu vor positiver Lebensfreude. Es zeigt, dass Demenz nicht nur eine große Tragödie ist. Vielmehr wird deutlich, dass man auch mit dezenten Angehörigen noch eine sehr intensive und fröhliche Zeit verleben kann, wenn es schafft, die Erkrankung anzunehmen und sich auf die besondere Erlebnis- und Gefühlswelt des Dementen einzulassen.

Dies gelingt Bettina Tietjen so gut, dass sie auch mich als Leserin in diese Welt mitnahm und so las ich das letzte Kapitel über den Tod des Vaters mit Tränen in den Augen, weil er auch mir über die Seiten hinweg zu einem besonderen Freund geworden war.

Dennoch werden in “Unter Tränen gelacht” auch ernste Töne angesprochen: der Kampf um die Anerkennung einer Pflegestufe, die knappe bemessene Zeit des Pflegepersonals, die gerade für eine demente Person unzureichende Personalausstattung im Krankenhaus, die Wichtigkeit einer Vorsorgevollmacht, das kontroverse Thema der lebensverlängernden Maßnahmen, Bettina Tietjen verzichtet hier aber weitgehend auf große Belehrungen und einen moralischen Zeigefinger. Vielmehr schildert sie lediglich die Situation in Bezug auf ihren Vater und ihre eigenen Sorgen, Ängste und Zweifel. Sie erzählt von  der Lösung, die sie zusammen mit ihrer Familie für ihren Vater fanden, ohne diese für allgemeingültig zu erklären, was ich sehr angenehm fand. Es werden Denkanstöße gegeben; den Anspruch eine universale Antwort zu haben, erhebt Bettina Tietjen jedoch nicht. So kam ich mir als Leser nie gegängelt, bevormundet oder instrumentalisiert, sondern vielmehr ernstgenommen und ebenbürtig vor.

Mit “Unter Tränen gelacht – die Demenz, mein Vater und ich” ist Bettina Tietjen ein sehr persönliches und emotionales Buch gelungen, das weder von der medizinische Seite noch ausschließlich vom Schmerz des Abschieds erzählt, sondern von Lebensfreude, menschlicher Wärme und heiteren Stunden berichtet. Für mich war es mehr ein Buch, das Kraft macht und den Blick für die schönen kleinen Momente im Alltag schärft, als ein Buch über Demenz. Ich kann es daher auch Leuten empfehlen, die wie ich keinen persönlichen Bezug zu dieser Krankheit haben.


Titel: Unter Tränen gelacht – mein Vater, die Demenz und ich ♦ Autorin: Bettina Tietjen ♦ Verlag: Piper ♦ ISBN:  978-3-492-05642-7 ♦ Preis: 19,99 €


Challenges:

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Deutschland / Europa

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Nr. 12: ... in dessen Buchtitel gegenteilige Wörter / Dinge genannt werden

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6 Kommentare

  1. Diesem Buch bin ich in der Buchhandlung jetzt schon öfter begegnet.
    Vielleicht sollte ich es mal auf die Wunschliste schieben, da deine Rezension mich wirklich neugierig gemacht hat. 🙂

    Liebe Grüße,
    Ramona

  2. DAs klingt richtig gut geschrieben. Ich frage mich immer, ob sich diese Menschen nicht nackt fühlen, wenn sie all das offenbahren…

  3. Ingrid K. sagt am 9. März 2016

    Mit hat das Buch auch sehr gut gefallen. Ich habe es heute zu Ende gelesen und ein paar Tränen verdrückt …. Ich bewundere Frau Tietjen und ihre Familie, dass so sich so gut um ihren Vater gekümmert haben und ihm sein Leben auch in der Krankheit noch so schön gemacht haben.

  4. Andrea W. sagt am 11. Juni 2016

    Mir hat es auch super gut gefallen! Mich hat das Buch sehr beeindruckt. Die ernsten, sowie die heiteren Momente hat Frau Tietjen so wunderbar beschrieben. Man fühlte sich zeitweise der Handlung so nah!

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