Frauenleserin Rezension

“Baba Dunjas letzte Liebe” von Alina Bronsky

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Alina Bronsky wurde 1978 im Jekaterinenburg in Russland geboren. Seit den 90er Jahren lebt sie in Deutschland. Bereits ihr Debütroman “Scherbenpark” wurde zum Bestseller und ist mittlerweile verfilmt. Für ihren aktuellen vierten Roman “Baba Dunjas letzte Liebe” wurde sie für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert. Sie lebt mit ihren vier Kindern und ihrem Mann in Berlin. Ihre Bücher veröffentlicht sie unter einem Pseudonym.

Worum geht es?

Im Alter von über 80 Jahren kehrt Baba Dunja in ihr Heimatdorf Tschernowo zurück. Mitten in der radioaktiv verseuchten Todeszone führt sie ein einfaches und autarkes Leben. Das Wasser kommt aus dem Brunnen, der Telefonanschluss funktioniert nur sporadisch und das Essen stammt weitestgehend aus dem eigenen Garten. Bald folgen andere ihrem Beispiel. Es entsteht eine starke und enge Dorfgemeinschaft. Diese gerät jedoch kurzzeitig ins Wanken, als ein Vater mit seiner jungen Tochter nach Tschernowo zieht.

Wie fand ich…

…den Einstieg?

Es dauerte einige Seiten, bis ich tatsächlich ganz in der Geschichte ankam. „Baba Dunjas letzte Liebe“ beginnt ohne lange Einführungen mit einem typischen Tagesbeginn in Tschernowo. Ausführlich wird dargestellt, wie schwer es der Ich-Erzählerin (Baba Dunja) fällt, morgens das Bett zu verlassen. Erst später, als ihr ungefähres Alter genannt wird, konnte ich mir einen genaueren Reim auf diese ungewöhnliche Anfangsszene machen.

…die Charaktere?

Ich mochte Baba Dunja sehr. Mit ihr hat Alina Bronsky eine sehr liebenswerte wenn auch nicht immer einfache Hauptfigur entwickelt. Vor allem Baba Dunjas ausgeprägter Pragmatismus und ihr starker Wunsch nach einem auch im Alter selbstbestimmten Leben gefielen mir gut. Schwerer tat ich mir da mit dem unterkühlten Verhältnis zu ihren Kindern. Auch ihre Glauben, dass die Toten weiter unter uns wandeln, und ihre Zweigespräche mit ihrem verstorbenen Mann waren für mich befremdlich, drücken jedoch gut die Einsamkeit aus, die Baba Dunja manchmal überkommt.

Auch die restlichen Dorfbewohnern sind Aussteiger wie Baba Dunja. Sie alle haben ihre Macken und Spleans. Aber Baba Dunja, die durch die Geschichte führt, berichtet mit einer Herzenswärme darüber, die mich es an ein älteres Ehepaar denken ließ, dem die Eigenheiten des jeweils anderen irgendwie lieb geworden sind. Baba Dunja hat sich mit dem Alter ausgesöhnt und akzeptiert daher auch die Erscheinungen, die das Alter bei den weiteren Dorfbewohnern hinterlassen hat. Diese Haltung übertrug sich durch die Erzählperspektive auch auf mich als Leserin.

Dass Alina Bronsky alte Menschen einmal nicht als schrullige und hilfsbedürftige Kauze darstellt, empfand ich als sehr angenehm.

…den Handlungsverlauf?

Baba Dunja Cover„Baba Dunjas letzte Liebe“ bleibt lange Zeit handlungsarm. Alina Bronsky lässt sich viel Zeit, um die Dorfbewohner und die besondere Atmosphäre in Tschernowo darzustellen. Für mich war die mit den einfachen Lebensumständen einhergehende Anstrengung fast selbst spürbar. Die Folgen der radioaktiven Strahlung, welche die Spinnen beispielsweise andere Netze spinnen lässt, werden ebenso schön beschrieben wie die Reaktionen der Gesellschaft, die aus Baba Dunja eine Symbolfiguren machen möchte und einen eigenen Friedhof für die Bewohner Tschernowos fordert, sowie der Dorfbewohner, die sich mit alledem arrangiert zu haben scheinen. Nur durch Ereignisse wie etwa die Geburt eines Wurfs augenloser Katzen wird den Dorfbewohnern ihre Lage für kurze Zeit etwas bewusster. Für die Menschen in Tschernowo scheint die Welt zweigeteilt in ein Drinnen und Draußen. Berührungspunkte zwischen den beiden Kosmen sind selten. Der Weg „hinaus“ ist lang und beschwerlich. Selbst Baba Dunjas Kinder meiden die Heimat ihrer eigenen Mutter. Dies führt zu einer ganz eigenen Atmosphäre im Dorf, die Alina Bronsky detailliert darstellt. Dennoch scheinen ihre Beschreibungen nur an der Oberfläche zu kratzen und den wahren Kern nicht zu berühren. Einen genauen Eindruck vom Leben in Tschernowo konnte ich so nicht gewinnen.

Mit dem Einzug eines Mannes und dessen kleiner Tochter kommt die eigentliche Handlung auf Seite 67 erst verhältnismäßig spät so richtig in Gang. Dafür nimmt sie dann aber umso schneller an Fahrt auf und gerät schnell auf Wege, die ich nicht immer vollständig nachvollziehen konnte und manchmal auch unrealistisch fand. Eine zweite Perspektive hätte an einigen Stellen nicht geschadet, um bestimmte Dinge besser nachvollziehen zu können.

Die unausgewogene Aufteilung zwischen langem, detailreichen Intro und liebenswerter Figureneinführung einerseits und sehr gehetzter und in rasantem Tempo erzählter bisweilen unrealistischer und nicht immer ganz nachvollziehbarer Handlung fand ich etwas merkwürdig.

…das Ende?

Das Ende war mir etwas zu viel des guten. Hier beschwörte Alina Bronsky für meinen Geschmack einfach zu viel heile Welt. Außerdem hätte ich gerne gewusst, was aus dem Brief der Enkelin wird, den Baba Dunja nicht lesen kann, sich aber auch nicht zu übersetzen lassen traut.

Wie gefiel mir das Buch insgesamt?

„Baba Dunjas letzte Liebe“ ist eine ungewöhnliche Geschichte über eine Frau, die sich auch im hohen Alter ihre Unabhängigkeit bewahren möchte. Darüber hinaus setzt sich der Roman auch auf sehr schöne Weise mit dem Begriff der Heimat auseinander.

Alina Bronsky zeichnet nicht nur sehr liebenswerte, wenn auch bisweilen etwas eigensinnige Charaktere. Durch die außergewöhnliche Wahl eines im Grund lebensfeindlichen Settings erhält der Roman etwas leicht Entrücktes und eine ganz eigene Atmosphäre, die mir gut gefiel, auch wenn mir Alina Bronskys Beschreibungen der Gegend um Tschernowo etwas zu sehr an der Oberfläche blieben.

Mein Hauptkritikpunkt ist aber der unausgewogene Handlungsverlauf, der nach einer verhältnismäßig langen Einführung in einen rasanten, nicht immer ganz nachvollziehbaren Plot übergeht. Dieser war mir an manchen Stellen – vor allem am Schluss – zu unrealistisch. Auch wirkte das Buch auf mich zu komprimiert und dadurch etwas gehetzt.

Bewertung: ♥♥♥♥♥ lesenswert


Titel: Baba Dunjas letzte Liebe ♦ Autorin: Alina Bronsky ♦ Format: gebundenes Buch ♦ Verlag: Kiepenheuer & Witsch ♦ Umfang: 160 Seiten ♦ ISBN: 978-3-462-04802-5 ♦ Preis: 16,-€ ♦ Leseprobe 


Ich empfehle auch die Rezension des Deutschlandfunk.

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